Die Farbe der Träume
Geruch von gebratenem Fleisch herantragen, von all den Grashüpfern und Eidechsen, die in den Flammen geröstet wurden. Doch selbst das finde ich beinahe aufregend.«
Als Joseph und Lilian endlich nach Christchurch aufgebrochen waren und Harriet mit der Hündin Lady allein war, suchte sie sich ein Stück Land unterhalb der neuen Lehmställe und des halb fertigen Teichs zum Abbrennen aus. »Selbst Schweine«, hatte Dorothy erklärt, »fressen gern das neue grüne Tussockgras, und es hält sie gesund, also sollten Sie ruhig Ihr Tussockgras verbrennen, auch wenn Sie keine Schafe haben. Aber tun Sie das auf keinen Fall bei starkem Wind.«
Dieser Novembertag war freundlich, fast warm. Harriet wartete bis zum späten Nachmittag und zündete dann ihre Wachskerzen an. Es hatte seit Tagen nicht geregnet, und das Gras war trocken und spröde. Überall loderte das Feuer auf, kaum dass die Flamme das Gras berührte – neun oder zehn kleine Brände fraßen das verwelkte Gras, rückten vor, breiteten sich fächerartig aus, fanden zueinander, teilten sich wieder, verbanden sich erneut und hüpften in einer Art Galopp den Berghang hinunter. Harriet glaubte, noch nie Feuer gesehen zu haben, das so zufrieden wirkte. Sie musste lächeln; so klein waren die Feuer und doch so eifrig und gründlich.
Lady bellte die kleinen Flammen an und wollte sie jagen, so wie sie schon Schafe jagen konnte, da das Feuer für sie lebendig war, aber Harriet hielt sie an der kurzen Leine, und gemeinsam folgten sie den Bränden in gebührendem Abstand, als die Luft sich mit Rauch zu füllen begann. Es ging ihr wie Dorothy, ihr gefiel diese Arbeit – und das umso mehr, als sie und Lady allein und Joseph und Lilian weit weg waren, so dass sie alles machen konnte, wozu sie Lust hatte. Bach und Acker grenzten das brennende Gelände sicher ein, aber sie hatte das Feuer mit einem Problem konfrontiert: Ein Drachenbaum stand den Flammen im Weg, er war übermannshoch und leuchtete vor der fahlen Ebene verblüffend grün mit seinen hellen Blättern.
Was würde das Feuer tun? Würde es einen Bogen um den Baum schlagen und dann seine sengende Arbeit fortsetzen, oder würde es den Baum als unwiderstehliche Herausforderung ansehen? Würden die Flammen zentimeterweise an ihm hochzüngeln und ihn verschlingen?
Der Rauch hing tief über der Senke, so dass die Krone des Drachenbaums gerade noch daraus hervorlugte, als die ersten Flammen ihn erreichten. Harriet wusste, dass diese Bäume stark wasserhaltige Stämme hatten, und dachte, sie würden dem Feuer standhalten. Sie sah, wie die Flammen am Stamm hochzuzüngeln versuchten und in die riesigen Blätter hochsprangen, dann wieder zurückfielen, während die kleinen Feuer um den Baum herum überall auf dem Boden eifrig weiterhüpften. Dann drehte der Wind für einige Augenblicke leicht nach Westen, und Rauch verbarg den Drachenbaum. Würde er verbrennen oder widerstehen? Da sind Männer und Frauen Tag und Nacht damit beschäftigt, die Welt zu zähmen und in ihren Besitz zu bringen, dachte Harriet, und dennoch sehnen sie sich ebenso sehr nach den wilden, ungezügelten Dingen, die sie bestaunen, von denen sie sich hinreißen lassen möchten.
Der Baum begann zu brennen. Eine einzige Flamme schien durch ihn hindurchzustoßen, ihn wie ein Speer zu spalten, und als dieser Flammenspeer die Blätter erreichte, zerbarst er in einer gelben Feuerfontäne. Vor dem dunkelnden Himmel leuchtete diese Fontäne überwältigend hell, und Harriet erschauerte beim Anblick dieses Wunders, und auch Lady stand ganz still.
Später, in der Dunkelheit, erschienen zwei Keas auf der Suche nach gerösteten Insekten und Eidechsen. Harriet, die mit einer Lampe ein letztes Mal hinausgegangen war, um nachzuschauen, ob es noch irgendwo brannte, hörte sie miteinander zanken und sah dann, wie sie sich ihre Mahlzeit aus der Asche pickten.
Ganz fasziniert von der Fremdartigkeit der Vögel, schaute sie ihnen lange zu. Dann ging sie zurück ins Haus und begann, sich die Haare abzuschneiden.
Die abgeschnittenen Haare rochen nach Rauch und erinnerten sie daran, wie vollkommen glücklich sie, so allein mit dem Hund, in den vergangenen Stunden gewesen war, wie wunderschön sie die ganze Welt um sich herum gefunden hatte. Und dieses Gefühl für die Schönheit der Welt wollte sie sich unbedingt bewahren. Mit dem Abschneiden der Haare glaubte sie sich auf all das vorzubereiten, was demnächst auf sie zukommen würde. Sie würde dann alles sehr klar sehen
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