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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Lilian waren da anderer Meinung. Sie wussten, dass der Esel einen zweiten Winter nicht überleben würde. Und eines Nachts sagte Harriet in der heißen Stille ihres Zimmers zu Joseph: »Was wir im Herbst kaufen müssen, ist ein Pferd.«
    Joseph antwortete nicht. Sie hörte ihn seufzen, als würde alles, was sie sagte, ihn ermüden, als wäre sie ein Kind, das ihn um Reifen und Kreisel und Puppen mit Porzellangesichtern anbettelte.
II
    Edwin Orchard ahnte nicht, dass Harriet wegen des Esels nicht zum Orchard-Haus reisen konnte, und so wartete er vergeblich auf sie, wollte er ihr doch so gern seine Sorgen wegen Pare anvertrauen.
    Pare kam einfach nicht mehr zum Treffpunkt im Toi-Toi-Gras – Edwin hatte das Gefühl, sie sei noch nie so lange weggeblieben. In der Zwischenzeit war seine Raupe als scharlachrot-schwarzer Schmetterling aus dem Kokon geschlüpft und davongeflattert; die Frühlingslämmer hüpften und tollten nicht länger auf der Weide herum, sondern blökten inzwischen schon fast wie ganz normale Schafe; seine Mutter hatte ihm die Locken abgeschnitten; Toby hatte siebenundzwanzig Wekarallen geschossen; ein Kuckuckskauzpaar hatte in einer der Scheunen gebrütet; und Janet hatte sie alle mit einem blauen Pudding verblüfft.
    Edwin hätte Pare schrecklich gern von den Kuckuckskäuzen und dem blauen Pudding erzählt. Und ohne die Raupe fühlte er sich einsam. Er hätte auch gern Geschichten vom Gold im Greenstone-Fluss gehört und die Kiwifedern von Pares Zauberumhang gestreichelt. Jeden Tag lief er jetzt ins Gras hinaus und rief leise: »Bist du da, Pare?« Aber nie kam eine Antwort, nur der heiße Wind seufzte, und die Grashüpfer zirpten, und in der Ferne blökten die Schafe.
    Den größten Kummer bereitete ihm aber die Vorstellung, dass Pare eines Tages doch gekommen war, ihn aber ohne seine Locken nicht erkannt hatte und wieder fortgegangen war, weil sie dachte, es wohnte jetzt ein fremder Junge auf der Farm. Denn er merkte wohl, dass er vollkommen anders aussah. »Du hättest mir nicht die Haare schneiden sollen, Mama!«, sagte er bitter zu Dorothy. Und die Antwort seiner Mutter überraschte ihn und bekümmerte ihn noch mehr. »Ich weiß, Edwin«, sagte Dorothy. »Es hat mir fast das Herz gebrochen, mein Baby zu verlieren. Aber es wurde Zeit für eine Verwandlung.«
    Zeit für eine Verwandlung.
    Edwin sah Dorothy wütend an. Am liebsten hätte er sie ganz gemein in die Hand gebissen. Er wusste, was eine Verwandlung war. Es war das, was seine Raupe durchgemacht hatte. Ein Ding wurde dabei ein anderes Ding. »Ich will das nicht!«, sagte er.
    Edwin malte auf einer Schiefertafel ein Bild von sich, in dem sein Haar abstand wie bei seiner Mutter. Er wusste nicht, ob Pare lesen konnte, aber er schrieb auf die Tafel: Das ist keine verrückte Nuss, das bin ich, Edwin, jetzt.
    Er legte die Tafel auf ein paar weiße Steine im Toi-Toi-Gras. Er hoffte, das trockene Wetter würde anhalten.
III
    Die Dürre hielt an, und die Erdhügel am Bachrand wurden hart und hell und rissig. Joseph fand, sie ähnelten allmählich einem Miniaturgebirge. Und er dachte, sie würden, wie die Berge, für immer da bleiben, weil ihm die Kraft fehlte, sie zu beseitigen.
    Der Wasserpegel des Bachs fiel. Immer mehr schlammiger Kies kam zum Vorschein, und jeden Tag siebte Joseph ihn pflichtschuldig durch, aber er fand nichts. Es wuchs die Angst in ihm vor einer Zukunft ohne Gold und ohne Wasser.
    Er lenkte den Bach so um, dass möglichst viel Wasser in seinen Teich fließen konnte, und tröstete sich mit dem Gedanken, dass zumindest all die Arbeit, die er in den Teich investiert hatte, nicht vergeblich gewesen war. Was als der sentimentale Versuch begonnen hatte, ein Eckchen englische Landschaft zu erschaffen, würde jetzt vielleicht die Farm vor dem Untergang retten. Er hoffte, dass weiter Wasser in den Teich floss. Was er fürchtete, war, dass der Pegel im Teich sank und der große schwarze Wurm zum Vorschein kam, der, wie er wusste, unten im Schlamm lauerte.
    Doch Josephs Gedanken schweiften ab und führten ihn zum Hokitika und zum Grey. Allmählich hatte er den Eindruck, es sei falsch gewesen, auf seinen eigenen Bach zu setzen, denn er erwies sich als störrisch und wertlos. Jene mächtigen, unerreichbaren Flüsse der Westküste jedoch würden reichhaltig und freigiebig sein. Sie würden nach und nach ihr Gold herausrücken. Ihre Farbe würde von Gold zu Silber und dann zu Braun wechseln, während all die Männer, die sich beherzt

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