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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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uns im Wagen sehr schnell nach Rangiora zum Arzt bringen. Wir brauchen also ein Pferd, Joseph, und sonst nichts.«
    Joseph blickte sie an, sah ihre Haut, die von der tagelangen Sonnenglut braun und ausgetrocknet war, und ihre Augen, die im Licht der Kerze sehr schwarz wirkten. Still stellte er fest, wie geschickt sie ihn zu manipulieren verstand. Sie brachte ihn stets dazu, ihr etwas zuzugestehen, wozu er eigentlich nicht bereit war, weil sie es sich nicht leisten konnten: erst den Hund Lady, der nur auf sie hörte, auf niemanden sonst, und nun dies, das große Pferd, das sie, wie sie behauptete, im Geiste schon vor sich sah und mit dessen Kauf sie ihn jetzt bedrängte.
    Er seufzte. Ihn fror, nachdem er so lange draußen im Regen gestanden hatte, und er wusste, dass er in dieser Nacht nicht die Kraft besaß, mit ihr zu streiten.
    »Also gut«, sagte er schließlich. »Aber wenn wir ein Pferd kaufen, bleibt uns kaum noch Geld übrig. Ich denke, du weißt, was das heißt?«
IV
    Eine Woche später wanderten Joseph und Harriet zu Fuß nach Rangiora und warteten dort auf eine Kutsche, die sie nach Christchurch bringen würde.
    Lilian saß allein im Lehmhaus mit Lady, die winselnd hin und her lief und nach Harriet suchte. »Um Himmels willen«, sagte Lilian zu dem Hund, »hör endlich auf.«
    Trotzdem war sie froh, dass der Hund da war. Denn als es dunkel wurde, schien draußen vor dem Lehmhaus alles ungeheuerlich zu wachsen: die Wolken, die vor dem Mond vorbeizogen, die fernen Berge und das flache Grasland. Lilian wusste, dass sie noch nie so allein gewesen war, so fern von allen Menschen. Ihr war, als säße sie in einem seltsamen Gefährt, das sie immer weiter von allem Vertrauten forttrug und in ein Schattenuniversum entführte.
    Sie verbrachte den Abend damit, zerbrochene Teller zu kleben, wobei sie darauf achtete, dass das zierliche Blumenmuster sich nahtlos aneinanderfügte. Doch trotz aller Konzentration auf die Arbeit verstärkte sich dieses Gefühl, in eine große Leere hineinzufahren, derart, dass ihr ganz schwach und schwindelig wurde und sie den Kopf auf den Tisch legen musste.
    Sie starrte die Gegenstände im Zimmer an: den Stuhl am Herd, die Handtücher, die auf dem Wäscheständer trockneten, den billigen Kalender am Haken in der Wand. Am liebsten hätte sie diese Dinge zusammengesammelt und an sich gedrückt, während sie durch die endlose Nacht flog.

D’E RLANGERS H OTEL
I
    In Christchurch war kein einziges billiges Zimmer zu bekommen. Wäre Joseph allein gewesen, hätte er, so wie früher auch schon, irgendwo draußen vor der Stadt auf dem Feld geschlafen, aber zusammen mit Harriet ging das nicht. Er hatte zwar nur noch sehr wenig Geld, doch lange konnte es ja nicht mehr dauern, bis all die momentanen Ausgaben lächerlich unbedeutend erscheinen würden.
    Das Haus, das er schließlich fand, hieß D’Erlangers Hotel. Es beschäftigte zwei Pagen mit blauroten Uniformen und frechen kleinen Kappen.
    Einer der beiden führte Joseph und Harriet in ein Zimmer mit einem Himmelbett unter Musselinbespannung. Es war ein sonniger Nachmittag, der Page öffnete das Fenster, stellte sich dann davor und wartete demonstrativ auf sein Trinkgeld.
    Gegen Abend dann spielte jemand unten mit der Ziehharmonika auf, und Joseph merkte, wie lange er schon nicht mehr getanzt hatte. Auf das Bett, dessen Musselinvorhänge im Luftzug vom offenen Fenster leise wehten, legte er die Pistole seines Vaters und eine Schachtel mit Patronen und erklärte Harriet, die solle sie an sich nehmen, während er fort sei.
    Sie sagte, sie habe noch nie mit einer Pistole geschossen, und so zeigte er ihr, wie man sie lädt und entsichert und wie man zielt. Dabei stellte er sich direkt neben sie und blickte an ihrem ausgestreckten Arm entlang. Sie sagte: »Wir sehen wie ein Gangsterpärchen aus, das ein Verbrechen plant.« Und sie lächelte Joseph an, während sie immer noch die Pistole hielt und auf einen Mahagonikleiderschrank richtete. Und da sah er ihn wieder, ihren perlweißen Zahn, der vorschaute, wenn sie lächelte, und eigentlich doch nicht vorschauen sollte.
    Die Ziehharmonikamusik seufzte weich und melancholisch,Joseph stand auf und zog die Vorhänge zu und beschloss, sich der überraschenden Süße des Augenblicks zu überlassen, weil solch ein Augenblick vielleicht nie wieder käme.
    Er nahm Harriet die Waffe aus der Hand und legte sie beiseite. Dann führte er seine Frau zum Bett, zog den Musselinvorhang vor und küsste sie auf den Mund.

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