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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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würden vergehen, und die Lüge würde sich in ihrem Haus einnisten und dieselbe Luft atmen, die sie auch atmeten. Und so würde es weitergehen, bis genügend Zeit vergangen wäre und Lilian zu ahnen begänne, dass ihrem Sohn etwas Furchtbares zugestoßen sein musste. Doch selbst dann würde sie glauben, Joseph sei beim Goldwaschen an irgendeinem Flussbett gestorben. Sie würde niemals auf die Idee kommen, dass Harriet ihn in einem Hotel in Christchurch getötet haben könnte, einfach so, nur weil sie unfähig war, ihn zu lieben.
    Jetzt lag die Pistole nur wenige Zentimeter von ihrer Hand entfernt. Eine irritierende Waffe, dachte Harriet, so kunstvoll verziert und so gemein. Sie gefiel ihr nicht. Denn als Joseph ihr den Umgang damit gezeigt hatte, war er ähnlich erregt gewesen wie in den Augenblicken, in denen er so elend verzweifelt sein Vergnügen suchte, wenn er ihren Körper unter seinem zurechtschob und ihre Schenkel hin und her zerrte, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was sie dabei fühlen mochte. Und ebendies – dies und nichts anderes – war es, was ihre Mordgelüste geweckt hatte. Wenn Joseph sie nicht angefasst, wenn sein Gewicht nicht so unerträglich auf ihr gelastet hätte, wäre sie nie auf die Idee gekommen, ihn umzubringen.
    Unten setzte jetzt wieder die Ziehharmonikamusik ein. Joseph erwachte, glitt von Harriets Körper hinunter, kehrte ihr den Rücken zu und lauschte den melancholischen Klängen.
    Das Bett war weich, und er gratulierte sich zu dem behaglichen Hotel. Er war noch ganz benommen von seinem Traum, einem Traum von Rebecca. Er tanzte mit ihr auf dem Volksfest in Parton Magna, in einem mit Flaggen geschmückten Saal, und ihr Atem roch nach Apfelmost, und sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust unter dem engen Mieder.
    Joseph merkte, wie Harriet sich umdrehte und an ihn heranrückte. Sie berührte ihn im Nacken und flüsterte: »Hörst du die Menschen lachen?«
II
    Sie blieben zwei Nächte in D’Erlangers Hotel, und an dem Tag dazwischen erledigten sie ihre Einkäufe, was Harriet an ihre Anfangszeiten erinnerte, als sie Samen und Gerätschaften für die Farm kauften und sie selbst noch an die Möglichkeit ihrer Liebe glaubte.
    Der Preis für die Schiffspassage nach Nelson und Hokitika auf der alten Wallabi , der eigentlich 4 Pfund betrug, war inzwischen auf 15 Pfund gestiegen, weil so viele Menschen dorthin wollten. Joseph würde zwischen Hühnerkörben an Deck schlafen müssen, »und beten Sie um gutes Wetter, sonst werden Sieklatschnass«. Aber er wusste, dass er trotz des hohen Preises und des schlechten Platzes Glück hatte. Überall in der Stadt versuchten Männer, sich die Reisekosten für das Dampfschiff zusammenzusparen. Sie arbeiteten als Träger und Fuhrleute oder betrieben irgendeinen kleinen Handel, verkauften Segeltuch oder Messer oder Schnaps oder hämmerten Waschrinnen aus Buchenbrettern zusammen.
    Den Survival-Stand auf dem Markt gab es immer noch. Immer noch wurden lebendige Aale zerteilt und klein geschnitten und in Blasentang gepackt, und einmal hörte Joseph einen Zuschauer sagen, der Aalkonservierer brauche gar nicht übers Meer zu den Goldfeldern zu fahren; sein Gold sei die »Konservierung«. Und Joseph hatte selbst beobachtet, wie um das Gold herum ein völlig neuer Wirtschaftszweig entstand und wie man auch reich werden konnte, wenn man nicht selbst mit Goldwaschen beschäftigt war. Dabei wurde ihm klar, dass er in seinem ganzen Leben noch nie etwas zu verkaufen gehabt hatte, außer sein wenig aufregendes Talent als Viehauktionator. Aber er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass er demnächst sein Gold für mehr Geld verkaufen würde, als sein Vater und er jemals in ihrem Leben verdient hatten. Er würde ein Mann sein, der anderen Männern Neid einflößte und bei Frauen Sehnsucht weckte.
    Er bepackte sein Reisebündel mit Tee und Tabak, Schinken, Mehl und Zucker. Er legte noch zwei Gläser mit gesalzenem Aal dazu. Er kaufte ein Kochgeschirr, ein Zelt, eine Axt, eine Dose Nägel, solide Stiefel und zwei Hosen aus Moleskin-Baumwolle. Als er eine der beiden Hosen anzog, sah er sich schon in einem breiten Graben seinen Claim abstecken. Er verbrachte viel Zeit damit, sich die Goldwaschrinnen oder Wiegen mit ihren Eisenrosten und dem Segeltuch darunter anzuschauen. Er fand die Erfindung absolut genial, aber die Geräte waren schwer und unförmig, und Joseph beschloss, sich nach seiner Ankunft selbst eine Waschwiege aus Holz zusammenzunageln

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