Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
ja«, sagte Harriet. »Die unbezwingbaren Berge.«
    »Männer haben sie bezwungen.«
    »Aber ich kann es nicht, Joseph, und du kannst es auch nicht.«
    Die Glocke rief erneut, und es wurde höchste Zeit für Joseph, die Gangway des Schiffs zu besteigen, doch er wollte ihr unbedingt noch etwas sagen, weil er die Trennung nicht so beginnen lassen mochte, auf eine so unschöne Weise, als wäre das, was nie endgültig hatte sein sollen, plötzlich zu etwas Endgültigem geworden. Er hätte ihr gern versprochen, er werde mit den Taschen voller Geld zurückkehren und ein neues Haus bauen … das neue Haus seiner Fantasie in einem geschützten Tal, wo die Winde nicht hinkamen. Doch aus Aberglauben sagte er nichts davon und fragte stattdessen: »Wie wäre es, wenn wir uns nach meiner Rückkehr in D’Erlangers Hotel treffen? Und ich dich zu einem schönen Essen einlade.«
    Er hoffte, sie würde lächeln; so wäre er gern verabschiedet worden – mit ihrem süßen, schiefen Lächeln – nicht mit diesem demonstrativ bekümmerten Blick. Aber ihre Miene änderte sich nicht. Harriet nickte und sagte: »Ja, warum nicht. Ein schönes Essen. Und bei dieser Gelegenheit gebe ich dir die Pistole zurück.«
    Und dann war er fort, und er sah Harriet auf dem Kai stehen, während die Leinen losgemacht wurden und das Schiff ins offene Wasser fuhr. Er sah sie dort stehen, sehr groß und sehr still, und ihm zuwinken.
    Ein Junge von fünfzehn oder sechzehn Jahren tauchte auf und setzte sich neben Joseph aufs Achterdeck der Wallabi . Er zog eine billige Blechflöte aus seiner Jackentasche und begann, sie zwischen den Fingern zu drehen. Soweit Joseph sehen konnte, besaß er nichts außer dieser Flöte. Seine Stiefel waren abgetragen und seine Jackenärmel unten stark ausgefranst.
    »Möchtest du nicht etwas spielen?«, fragte Joseph freundlich.
    »Am Arrow hab ich gespielt«, sagte der Junge. »Hab auf meiner Flöte gespielt und kleine Arbeiten gemacht und ein bisschen Gold gefunden, aber am Ende haben sie mich darum betrogen.«
    »Und jetzt versuchst du es wieder?«
    »Das ist alles, was ich kann, Mister. Es wieder versuchen. Wieder Flöte spielen. Meine Dienste anbieten. Hoffen, dass ich nicht verrecke.«
V
    Harriet ritt zur Orchard-Farm. Billy hatte einen munteren Galopp vorgelegt und hielt die Ohren gespitzt. Es gefiel Harriet, seinen Schatten so schnell über den Boden fliegen zu sehen.
    Als sie ankam, waren Dorothy und Edwin gerade dabei, dieStälle zu tünchen. Dorothy, die eine Schürze und einen alten, ausgefransten Strohhut trug, sagte zu Harriet: »Warum lieben wir eigentlich das Weiß so sehr? Ist es die Leere in dieser Farbe?«
    »Ich bin jetzt weiß, Mama«, verkündete Edwin.
    Harriet und Dorothy betrachteten ihn. Sein Gesicht und seine Arme waren überall mit Kalkfarbe beschmiert. »Stimmt«, sagte Dorothy. »Und? Gefällst du dir so, oder sollen wir dich in die Wanne stecken?«
    »Ich bin gerne weiß«, sagte Edwin.
    Als begeisterte Picknickerin entschied Dorothy, das Weißeln werde fürs Erste »vertagt«. Jetzt würden Satteltaschen mit kalten Tauben und Käse bepackt und dazu »eine Weinflasche, deren Fehlen Toby nicht auffallen wird«, und dann würden sie zu dritt zum Fluss reiten und im Gras zu Mittag essen. »Die Hunde können mitkommen«, erklärte sie. »Sie holen sich so gern die Elritzen aus dem Wasser.«
    Billy ließen sie nach dem langen Ritt von Christchurch ausruhen. Edwin wischte ihm den Schweiß vom Nacken und breitete eine Decke über seinen Rücken, und Harriet musste für einen Moment an die alte Schottenmusterdecke von Beauty denken.
    Edwin sagte: »Er sieht hübsch aus, so allein.«
    »So allein?«
    »Ich meine, nicht an einen Wagen geschirrt.«
    »Manchmal muss er aber den Wagen ziehen.«
    »Euer Esel kann doch den Wagen ziehen.«
    »Der Esel geht jetzt nur noch sehr langsam.«
    »Pare ist auch immer sehr langsam gegangen«, sagte Edwin.
    Harriet blickte sich um, ob Dorothy etwa in Hörweite war, aber sie lief gerade ins Haus und rief nach Janet, die das Picknick vorbereiten sollte.
    »Hast du Pare inzwischen gesehen?«, fragte Harriet.
    »Nein«, sagte Edwin. »Ich glaube, der Holzklotz ist wiedergekommen, und ihre Stimme hat ihr gesagt, sie darf mich nicht mehr besuchen.«
    »Und wenn sie nun heute gekommen ist, als du ganz weiß warst?«
    »Sie kommt nicht. Sie kommt nie mehr.«
    Gemeinsam brachten sie Billy in den Stall und schütteten Futter in den Trog. Edwins Gesicht sah wie gepudert aus, beinah

Weitere Kostenlose Bücher