Die Farbe des Himmels
beste Freundin wird allmählich sauertöpfisch.«
Thea fühlte den kritischen Blick ihrer Freundin und hoffte, sie würde nicht weitersprechen. Doch Karos Redefluss war nicht so schnell zu stoppen.
»Allmählich erinnerst du mich an diese alte Kirchenorgel. Bei dir sind auch ein paar Register kaputt, und zwar die hellen, fröhlichen mit den vielen Obertönen. Die dunklen, schwermütigen funktionieren dagegen noch prima. Ich glaube, du brauchst auch ganz dringend eine Generalüberholung.«
FÜNF
Am Montagmorgen stand Thea grübelnd vor ihrem Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte. Sie hatte den Wecker in weiser Voraussicht eine halbe Stunde früher gestellt, denn für einen solchen Anlass war sie einfach nicht gerüstet. Nachdem sie ihre Garderobe durchforstet, die Hälfte davon anprobiert, als unpassend befunden und aufs Bett geworfen hatte, entschied sie sich für ein dunkelgraues Etuikleid, das sie zuletzt getragen hatte, als sie achtzehn war. Es war an dem Tag gewesen, als sie das Kinderheim im Allgäu für immer verlassen hatte. Sie erinnerte sich noch gut an die vielen Tränen, die geflossen waren. Einerseits war sie glücklich gewesen, endlich auf eigenen Füßen zu stehen und für sich selbst sorgen zu können, andererseits hatte sie Angst gehabt, zu versagen.
Nicht ohne Stolz stellte sie jetzt fest, dass ihr dieses Kleid noch immer wie angegossen passte. Ihre roten Haare kämmte sie streng aus dem Gesicht und steckte sie zu einem straffen Knoten am Hinterkopf fest. Noch eine Brille und ein Gebetbuch, und ich sehe aus wie die fromme Helene, dachte sie amüsiert, als sie die Treppe hinunterlief.
Messmer wartete bereits am Haupteingang des Waldfriedhofs. Er schaute hartnäckig an ihr vorbei und erkannte sie erst, als sie direkt vor ihm stand. Zum ersten Mal seit sie sich kannten, erlebte sie ihn sprachlos.
»Ich wusste gar nicht, dass du auch richtige Kleider hast«, sagte er, als er seine Worte wieder gefunden hatte. Zu allem Überfluss pfiff er durch die Zähne.
»He, ich bin kein Hund.« Thea musterte kritisch seine ausgewaschenen Jeans.
»Ich hab keine anderen Hosen«, verteidigte sich Messmer. »Zumindest habe ich dem Anlass entsprechend Blackstoned ausgesucht.«
»Crinkle ist übrigens schon lange aus der Mode«, lästerte Thea mit einem Blick auf sein zerknittertes Hemd, das früher sicher mal schwarz gewesen, inzwischen aber fast so ausgewaschen war wie seine Jeans.
»Du meinst, ich soll mir nur wegen ein paar ungebügelter Hemden eine Frau suchen?« Er sah sie belustigt an.
»Du könntest es mit dem Bügeln mal selbst versuchen«, schlug sie vor, während sie sich an dem Kamerateam vom SWR vorbeischlängelte, das offenbar für die Regionalnachrichten filmen wollte.
Wolf Hausers Grabstätte lag unweit des Haupteingangs. Hier ruhten so bekannte Persönlichkeiten wie Eduard Mörike, Theodor Heuss und Robert Bosch. Hauser würde in bester Gesellschaft sein. Eine Birke breitete ihre Zweige wie einen Baldachin über die Stelle, wo das Grab ausgehoben war.
»Erstaunlich, wie viele Leute gekommen sind«, flüsterte Thea Messmer zu, als sie in diskreter Entfernung zur Grabstelle stehen blieben.
»Das muss nicht heißen, dass sie um ihn trauern«, murmelte er. »Aber es sind ungewöhnlich viele Frauen darunter. Ob die alle seine Geliebten waren?«
»Höre ich da etwa Neid heraus? Apropos Geliebte – hast du die Linder schon entdeckt?« Thea blickte sich unauffällig um.
»Da drüben«, raunte Messmer und deutete nach rechts, wo Antonia Linder abseits der Trauergemeinde im Schatten einer Konifere stand, die Arme fest vor der Brust verschränkt.
»Ja, das muss sie sein. Kaum zu erkennen hinter diesem Trauerflor«, meinte Thea. »Sie hat wahrscheinlich kein großes Interesse daran, hier gesehen zu werden.«
»Da ist noch jemand, hinter ihr. Sieht aus, als ob die beiden gemeinsam da sind.«
Thea reckte den Kopf. »Die sieht aber nicht aus wie ein Trauergast. In einem blauen Sommerkleid und mit hellem Hut geht man nicht zu einer Beerdigung. Und diese Sonnenbrille passt eher auf ein Kreuzfahrtschiff als auf einen Friedhof.«
»Vielleicht ist es eine Bekannte von der Linder, die herkam, um ein Grab zu gießen, und die sie hier zufällig getroffen hat«, vermutete Messmer.
Thea nickte nachdenklich. Die Frau kam ihr seltsamerweise bekannt vor. Aber sie kam nicht darauf, wo sie sie schon einmal gesehen haben könnte.
Der Pfarrer hatte seine Grabrede beendet, und die
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