Die Farbe des Himmels
die Pfeifen klanglich ganz unterschiedlich gestalten: weich oder kräftig, hell und fröhlich mit vielen Obertönen oder dunkel und schwermütig mit wenigen. Unser neues Kunstwerk hier hat achtzig Register.«
»Und wo ist die Maria? Ich sehe gar keine.« Thea sah sich suchend um. »Ist es die dort?« Sie zeigte auf eine kleine Statue, die in ungefähr drei Metern Höhe auf einem Pfeiler auf der linken Seite angebracht war.
»Wir sind doch in einer evangelische Kirche. Hast du das vergessen?«, sagte Bastian. »Das ist die heilige Elisabeth. Maria steht in der Nische drüben. Schaut euch um, ich gehe noch mal zur Orgel rauf.« Er drückte Karolin einen Kuss auf die Stirn und verschwand hinter dem Baugerüst.
»Die Damen halten sich mal wieder abseits, sogar die in Stein gemeißelten«, stellte Thea fest, als sie vor der Marienstatue standen. »Ja, es ist wie im richtigen Leben. Nur gut, dass wir Frauen wissen, dass wir den Männern trotzdem überlegen sind.« Karolin winkte Bastian grinsend zu, der auf der Empore herumkroch.
»Ich hab mich schon als Kind gefragt, warum uns nicht auch Frauen die Absolution erteilen durften«, sagte Thea nachdenklich. »Zu einer Frau hätte ich viel mehr Vertrauen gehabt. Nur gut, dass wir Meggi hatten. Es hat mich jedes Mal gegraust, wenn ich zur Beichte musste. In meinen schlimmsten Albträumen hab ich heute noch die süffisante Stimme von Pater Scherzinger im Ohr und seinen strengen Geruch von Weihrauch und Knoblauch in der Nase.«
»Den brauchte er, um die Vampire abzuwehren«, kicherte Karolin.
Thea lachte nicht. »Erinnerst du dich an Vera?«
Karolin schwieg.
Vera war zwei Jahre älter als sie beide gewesen und hatte einmal zum Entsetzen aller Kinder behauptet, Pater Scherzinger habe angeboten, ihr zwölf Rosenkränze zu erlassen, wenn sie sich einmal mit nacktem Po auf seinen Schoß setzte. Sie hatten ihr lange Zeit nicht geglaubt und es für Angeberei gehalten. Vera hatte sich gerne abenteuerliche Geschichten ausgedacht, um sie den jüngeren Heimkindern als Wahrheit zu verkaufen. Auch als Pater Scherzinger ein paar Monate später das Heim verließ, hatten sie sich wenig Gedanken darüber gemacht.
»Wir haben damals gar nicht begriffen, was los war. Wie alt waren wir da? Zehn oder elf?«
»Ich war neun und du acht. Aber du machst den Fehler, alle Männer mit Pater Scherzinger in einen Topf zu werfen«, sagte Karolin leise.
»Nein. Ich finde nur, kleine Mädchen sollten das Recht haben, die Beichte bei einer Frau abzulegen. Man muss überhaupt alle Kinder vor solchen Typen schützen. Und misshandelten Ehefrauen sollte man die Möglichkeit geben, ihr Leid einer Frau zu klagen. Wie sollen sie zu einem Geschlechtsgenossen ihres brutalen Ehemannes Vertrauen haben?« Thea wandte sich ab und ging langsam zum Ausgang. »Mir wird immer klarer, warum ich zur Kripo wollte. Vielleicht war es mir nicht bewusst, aber ich dachte wohl schon damals, dass nicht nur die Kirche, sondern auch die Polizei und die Justiz von einer weiblichen Sichtweise profitieren können.«
»Da magst du Recht haben. Aber die Männer brauchen wir trotzdem. Die unbefleckte Empfängnis hat meines Wissens bei Maria das letzte Mal funktioniert.« Karolin schmunzelte.
»Eigentlich schade. Die Vorstellung, dass die Menschheit auch ohne den Zeugungsakt weiter bestehen könnte, würde die Männer vielleicht mal von ihrem Sockel holen.«
»Du bist und bleibst eine Emanze«, stellte Karolin lakonisch fest. »Ziehst du deswegen immer diese Schlabberklamotten an?«
Thea fehlten die Worte. Das hatte sie doch erst vor kurzem von jemand anderem gehört.
»Du hast doch eine tolle Figur, warum zeigst du sie nie?« Karolin strich ihr ärmelloses Sommerkleid glatt.
»Jetzt fang du nicht auch noch damit an!«
»Ach, hätte mir doch denken können, dass ich nicht die Erste bin, die das anspricht. Wer war es denn? Dein Micha?«
»Er ist nicht ›mein Micha‹!«
»Aber das mit den Schlabberklamotten hat er gesagt, hab ich Recht? Pass auf, es dauert nicht lang, und du bekommst die erste Einladung von ihm.«
»Die hab ich schon gekriegt«, erwiderte Thea gleichmütig.
»Ist nicht wahr!« Karolin fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Er hat dich wirklich eingeladen?«
»Ja – zu einer Obduktion. Sehr romantisch, oder?« Thea musste lachen, als sie Karolins verdutztes Gesicht sah.
»Na Gott sei Dank, du kannst noch Witze machen! Das hab ich schon lange nicht mehr erlebt«, freute sich Karolin. »Ich dachte schon, meine
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