Die Farbe des Himmels
die Sachen wieder zurück. Sie wollte schon den Deckel schließen, als sie innehielt und den bunten Wollstoff anstarrte, der jetzt oben lag. Ihr Herz begann zu rasen.
»Thea, Micha!«, schrie Ströbele von unten. »Kommt mal schnell! Ich hab was gefunden.«
»Ja, gleich!« Thea wurde bewusst, dass sie vergessen hatte zu atmen. Hastig zog sie den Wollstoff wieder aus dem Koffer, warf den Deckel zu und stürzte zur Tür. Noch im Laufen stopfte sie den Stoff in ihren Rucksack. Ihr war klar, dass es keinen plausiblen Grund gab, ihn mitzunehmen, und dass sie ihr Vorgehen würde erklären müssen, doch sie musste es einfach tun. Jetzt bloß nicht durchdrehen, befahl sie sich, als sie die Treppe hinunterlief. Ich rede mit Ströbele, aber erst morgen, wenn ich Gewissheit habe.
Ihre Kollegen standen im Wohnzimmer vor dem Sekretär.
»He, Thea, was ist los? Du siehst aus wie ein Weichkäse. Hast du ein Gespenst gesehen?«, fragte Messmer.
»Nichts, das muss die Hitze sein.« Thea vermied es, ihn anzusehen. »Was habt ihr denn gefunden?«
»Hier, das war zwischen ihren Papieren.« Messmer reichte ihr einen Zettel. Thea nahm ihm das Blatt aus der Hand und las.
»Die Spielbank hat mir ein Ultimatum bis zum 15. August gesetzt. Wenn ich bis dahin meine Schulden nicht begleiche, habe ich eine Anzeige am Hals. Antonia, ich sage es wirklich ungern, aber wenn du dich nicht an die Verabredung hältst und ich das Geld nicht bekomme, hole ich es mir von der Presse. Die Revolverblätter sind sicher auch heute noch sehr an eurem kleinen Geheimnis interessiert. D.«
»Sieht wie ein Erpresserbrief aus«, sagte Thea. Sie gab Messmer den Zettel zurück und hoffte, dass er das Zittern ihrer Hand nicht bemerkte.
»Du sagst es«, nickte Messmer und schob das Blatt in eine Plastikfolie.
*
Als sie zur Dienststelle zurückkamen, wartete Verena Sander schon mit Neuigkeiten auf sie.
»Das BKA hat wegen des italienischen Kennzeichens zurückgerufen.«
»Und?«, fragte Messmer.
»Negativ. Dieses Kennzeichen existiert in Italien nicht.«
»Womit wir wieder am Anfang wären.« Kümmerle seufzte.
»Kam mir gleich komisch vor«, meinte Koch. »Ich war schon öfter da unten, aber ein Kennzeichen mit einer solchen deutschlandüblichen Aufteilung hab ich da nie gesehen. In Italien kommen nach zwei Buchstaben für die Provinz normalerweise drei Zahlen und zum Schluss noch mal zwei Buchstaben.«
»War ja auch zu schön gewesen.« Kümmerle war sichtlich enttäuscht. »Also doch kein Familiendrama.«
»Und wie geht’s weiter?« Ströbele blickte in die Runde. »Indem wir Frau Laible einen neuen Optiker empfehlen?«
»Aber die Kekspackung stammt doch eindeutig aus Italien, oder nicht?«, fragte Verena Sander.
»Oder aus dem Tessin«, warf Messmer ein. »Da gibt’s den italienischen Kram doch auch.«
»Wahrscheinlich bekommt man die sogar in jedem italienischen Spezialitätengeschäft hier in Deutschland«, sagte Kümmerle. »Und seitdem wir den Euro haben, kann man nicht mal mehr am Preisaufkleber unterscheiden, wo sie gekauft wurden.«
»Aber am Strichcode«, sagte Koch. »Mein Schwager schafft bei einer Firma, die diese Barcode-Etiketten herstellt.«
»Gut, dann ist das dein Job. Ruf ihn an und frag. Sonst noch was?«
»Ich war auf einem Sprung beim alten Merkle«, sagte Koch. »Es war tatsächlich eine Familie Maschio aus Lugano bei der Beerdigung.« Er blätterte in seinen Notizen. »Paolo, Genoveva und Enrico. Geschäftsfreunde des Verstorbenen.«
»Ich erinnere mich.« Thea fiel plötzlich die Szene vom Friedhof wieder ein. »Ich habe tatsächlich ein älteres Ehepaar und einen jungen Mann bei Helene Hauser und ihrem Vater gesehen.«
»Bei der Gelegenheit habe ich ihn gleich um eine Schweigepflichtentbindung für seinen Arzt gebeten«, erzählte Koch weiter. »Wegen des Mordes an Antonia. Die Idee mit dem Rollstuhlfahrer.«
»War er empört über die Unterstellung?«, fragte Kümmerle.
»Er hat schallend gelacht und sie ohne zu zögern unterzeichnet.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es war. Warum sollte er das tun?«, gähnte Thea.
Joost sah sie nachdenklich an. »Du siehst müde aus, Thea. Mach Schluss für heute.«
Nichts war ihr lieber als das.
»Also tschüs, bis morgen.« Thea steckte den Kopf zur Tür des Besprechungsraums hinein. Ihre Finger befühlten unwillkürlich die Schnalle ihres Rucksacks, als fürchtete sie, sie könnte aufspringen und Antonia Linders bunten Wollstoff zum Vorschein
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