Die Farbe des Himmels
Auto auf ihn zugelassen ist«, sagte Verena Sander. »Aber das wird vermutlich von seinem Chauffeur gefahren.«
»Anzunehmen. Er selbst kann es jedenfalls nicht, das steht fest«, entgegnete Kümmerle und zuckte zusammen, als die Tür an die Wand knallte und Ströbele mit einem Fax in der Hand hereinplatzte.
»Ich habe neue Erkenntnisse zu Antonia Linders jüngerer Schwester. Franziska Linder, geboren 1956 in Stuttgart, Tochter des Kaufmanns Maximilian Linder und seiner Frau, übrigens eine Mexikanerin namens Maria Dolores Conzales da Silva. Im Jahr 1973 kam Franziska wegen einer psychischen Krise ins Rudolf-Sophien-Stift. Es hieß, sie habe den tragischen Tod ihrer Eltern nicht verwunden. Etwa ein Jahr später wurde sie entlassen und ging nach Mailand, wo sie unter dem Namen Francesca Lind als Model gearbeitet hat. War auf allen berühmten Laufstegen Europas zu sehen, muss unheimlich Kohle verdient haben. Mittlerweile ist sie Ende vierzig, hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen und lebt auf einem Anwesen bei Siena.« Ströbele räusperte sich. »Wer kann ausrücken?«
Messmer stand auf, während er noch die Reste des Spiegeleis mit einem Stück Brot vom Teller wischte. Thea holte ihren Rucksack unter dem Tisch hervor.
»Erkundigt euch, was damals im Rudolf-Sophien-Stift los gewesen ist«, sagte Joost. »Vielleicht existiert noch eine Akte von ihr.«
Die kunstvoll frisierte Dame in der Klinikverwaltung sah Thea und Messmer über ihre randlose Lesebrille entgeistert an.
»Krankenakten? Von 1973? Meine Güte, das ist jetzt dreißig Jahre her, die sind erst Anfang des Monats vernichtet worden. Konnten Sie nicht zehn Tage früher kommen, dann hätten Sie noch Glück gehabt!« Das kleine silberfarbene Schildchen auf ihrer üppigen Brust, das sie als Frau Grieshaber auswies, bebte unter ihrem schweren Atem.
»Vor zehn Tagen hatten wir dieses Ermittlungsverfahren noch nicht«, knurrte Messmer.
»Die Papierberge nehmen ja so eine Menge Platz weg, das können Sie sich gar nicht vorstellen«, fuhr Frau Grieshaber fort. »Schlimm genug, dass wir sie dreißig Jahre aufbewahren müssen. Heutzutage speichern wir die Patientenunterlagen selbstverständlich auf Datenträgern, aber damals war daran gar nicht zu denken. Selbst als ich vor fünfzehn Jahren hier anfing, gab es in der Klinik noch keine Computer.«
»Sie waren also Anfang der Siebziger noch nicht hier?«
Frau Grieshaber sah Messmer konsterniert an.
»Nein, was rede ich denn da? Sie waren damals natürlich noch viel zu jung«, beeilte er sich zu ergänzen.
Thea biss sich belustigt auf die Lippen. Dieses Eigentor hatte er gerade noch auf der Torlinie gestoppt. Messmers Charme verpuffte offenbar bei Frauen jenseits der fünfzig. Obwohl Frau Grieshaber aussah, als ginge sie stramm auf die sechzig zu, war es doch offensichtlich, dass sie sich die größte Mühe gab, dies mit Unmengen von Make-up und jugendlicher Kleidung zu kaschieren. Sie lächelte etwas säuerlich.
»Aber vielleicht gibt es Ärzte oder Therapeuten, die damals schon hier gearbeitet haben und sich an Franziska Linder erinnern?«, fragte Thea hoffnungsvoll.
»Ich kann ja mal nachschauen.« Frau Grieshaber stöckelte um den Mahagonischreibtisch herum zu dem Regal, das die gesamte Rückwand des Büros einnahm. Prüfend wanderten ihr Blick über die Ordnerrücken, bis sie schließlich einen herauszog und zum Schreibtisch trug, wo sie sich auf ihrem schwarzen Lederstuhl niederließ.
»Neunzehnhundertdreiundsiebzig«, sagte sie langsam, während sie mit ihren sorgfältig manikürten Fingern das Werk durchblätterte. »Nein, ich fürchte, von diesen Mitarbeitern ist heute keiner mehr in unserem Hause.« Ihr Tonfall klang bedauernd, doch Thea bezweifelte, dass es ihr wirklich Leid tat. Sie war hinter Frau Grieshaber getreten und überflog die Liste der Ärzte und die dazugehörigen Daten. Plötzlich stutzte sie, las noch einmal genauer und winkte Messmer heran.
»Es fällt mir schwer, noch an Zufälle zu glauben, wenn ich diesen Namen sehe.«
Messmer blickte Thea über die Schulter und pfiff durch die Zähne. Dann wandte er sich an Frau Grieshaber.
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diesen Ordner für einige Tage überlassen könnten.« Als er ihr Zögern bemerkte, fügte er noch eine Spur freundlicher hinzu: »Sie würden mir dadurch den Weg zur Staatsanwaltschaft ersparen, und ich müsste nicht mit dem Beschlagnahmebeschluss wiederkommen und Ihre kostbare Zeit erneut in Anspruch
Weitere Kostenlose Bücher