Die Farbe des Himmels
während Thea das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine räumte. »Welches Hotel, bitte?«, hörte sie Joost sagen, und sein Tonfall versetzte sie augenblicklich in Alarmbereitschaft.
»Intercontinental.« Joost kritzelte etwas auf einen Zettel. »Und Ihr Name ist … Lakatoz – ist das Ungarisch?«
Messmer hatte den Autoschlüssel bereits in der Hand. »Das gibt noch einen späten Einsatz«, raunte er Thea zu.
»Vielen Dank.« Joost legte auf. »Das war der Empfangschef vom Interconti. Er rief auf unsere Öffentlichkeitsfahndung hin an. Der rote Lancia steht bei ihnen in der Tiefgarage. Und die Halterin, eine gewisse Frau Linder, wohnt im Hotel.« Er sah Messmer und Thea mit einem schiefen Lächeln an. »Am besten, ihr bringt sie gleich mit hierher.«
Messmer lenkte den Wagen in eine Parklücke vor dem Hotel Intercontinental in der dicht befahrenen Willy-Brandt-Straße, gegenüber dem Planetarium, und kam hinter einem Reisebus mit japanischer Flagge an der Heckscheibe zum Stehen. Die dazugehörigen Touristen hatten sich breit lächelnd vor dem Haupteingang aufgestellt und ließen sich auf Siliciumchips verewigen. Gerade trat der nächste Japaner aus dem Halbkreis und nahm dem Fotografen die Kamera ab, der sich nun seinerseits zur Gruppe gesellte.
»Das fängt ja gut an«, stöhnte Messmer. »Jetzt müssen wir uns auch noch durch eine Fotosession kämpfen.« Er schlug die Autotür zu und bahnte sich einen Weg durch die Menge, während Thea in seinem Fahrwasser folgte.
»Excuse me, could we please …« Messmer schien zu wissen, dass Japaner ein ungewöhnlich höfliches Volk sind, und gab sich seinerseits auch die allergrößte Mühe. Er wurde nicht enttäuscht.
»Oh, of coulse«, »Sule«, »Please«, lächelten sie und traten unter unaufhörlichen Achtelverbeugungen zur Seite.
Messmer und Thea gingen eilig durch die gläserne Drehtür mit dem goldenen Logo des Hotels.
Leise Klavierklänge empfingen sie. Ein gelangweilt dreinblickender Pianist spielte Clayderman. An der Rezeption sprach ein junges Mädchen in Hoteluniform mit einem Gast und reichte ihm lächelnd einen Hausprospekt. Thea beneidete sie einen Augenblick lang. Wie gern wäre sie jetzt an ihrer Stelle. Ihr Leben war bestimmt in Ordnung, sie konnte hier unten bei dezenter Musik, gepflegten Grünpflanzen und eleganten VIPs bleiben und musste nicht hinaufgehen zu dieser geheimnisvollen Frau, die womöglich ihre Tante war.
Das Foyer war mit edlen Teppichen ausgelegt, auf denen ein junger Mann nervös auf und ab lief. Seine graue Uniform legte die Vermutung nahe, dass es sich bei ihm um den Empfangschef handelte.
Messmer ging auf ihn zu und zog den Dienstausweis hervor. »Sind Sie Herr Imre Lakatosz?«
Der Mann nickte ernst. »Frau Linder befindet sich momentan in ihrem Zimmer.«
»Okay, wie finden wir sie?«
»Sie nehmen den Aufzug auf der rechten Seite und fahren bis zum dritten Stock. Zimmer 302, ganz am Ende des Flurs, links.«
»Vielen Dank.« Messmer strebte bereits auf den Lift zu. Thea konnte ihm kaum folgen.
Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als sie ihr Spiegelbild im grellen Licht des Aufzugs sah. Sie war blass, und dunkle Schatten umrahmten ihre Augen. Das Haar hatte sich in langen Strähnen aus dem Zopf gelöst und hing ihr wirr ins Gesicht. Der Knoten in ihrem Magen zog sich noch ein Stück zusammen. Während sie Messmers prüfendem Blick auswich, fragte sie sich, ob das hier wirklich der richtige Job für sie war. Vielleicht sollte ich noch mal umschulen, dachte sie. Hotelfachfrau wäre gar nicht so schlecht. Das Ambiente ist nett, und man sieht gepflegte, adrett gekleidete Leute statt blutiger Leichen.
Das »Pling« der Fahrstuhltür riss sie aus ihren Gedanken. Der lange Flur lag wie ausgestorben vor ihnen, und der dicke, blau gemusterte Läufer dämpfte ihre Schritte, als sie den Gang hinunterstürmten.
»Ich weiß nicht, ob es was zu bedeuten hat, aber die Zimmernummern werden immer höher«, stieß Thea atemlos hervor. »Sagte der Empfangschef nicht etwas von Nummer 302?«
»Mist! Du hast Recht. Das erste Zimmer da vorne war die 343, und hier geht der Flur nicht weiter.«
Die Tür zum Personalbereich schwang auf, und mit lautem Klirren und Scheppern erschien ein riesiger Servierwagen, hinter dem die zierliche Hotelangestellte fast verschwand.
Thea fragte sie nach Nummer 302.
Sie hatten Glück. »Oh, Sie sind im falschen Flügel gelandet.« Die Frau nickte verständnisvoll, als würde sie das jeden Tag
Weitere Kostenlose Bücher