Die Farbe des Himmels
tot. Sie sind auf ihrem letzten Flug von Südamerika abgestürzt. Jetzt sind wir allein, Antonia und ich. Antonia sagt, sie will von nun an meine Mutter sein, weil ich erst sechzehn bin und sie schon vierundzwanzig. Mir ist alles egal. Ich vermisse Mama so!
Von ihrer Mexikoreise hat Mama mir dieses schöne Tagebuch mitgebracht. Antonia bekam einen bunten Poncho, wie sie jetzt modern sind. Ich finde ihn ziemlich scheußlich, aber ihr gefällt er. Das Tagebuch ist viel schöner, und ich habe mir fest vorgenommen, alles hineinzuschreiben, was ich Mama gesagt hätte, wenn sie noch leben würde.
Antonia sagt, ich soll endlich das Licht ausmachen und schlafen. Sie spielt die Mutterrolle wirklich großartig. Als wäre ich noch ein Baby. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Aber meine doofe Schwester scheint ihre Bestimmung gefunden zu haben. Ich mag sie nicht. Ich hab sie noch nie gemocht. Wie konntet ihr euch nur einfach in dieses Flugzeug setzen und abstürzen? Das werde ich euch nie verzeihen!
14. Dezember 1972
Mein liebes Tagebuch, w as ich dir jetzt anvertraue, werde ich nie jemand anderem erzählen können. Es fällt mir schon schwer, nur darüber zu schreiben. Am liebsten würde ich es für immer aus meiner Erinnerung löschen. Aber es ist passiert. Dieser Mistkerl hat mir das Schlimmste angetan, was ich mir vorstellen kann. Er ist ein Lügner und ein brutaler Mensch. Ich hasse ihn.
Ich war mit Marianne beim Eislaufen auf der Waldau. Als die Eisbahn schloss, machten wir uns zusammen auf den Heimweg. Marianne wohnt gleich um die Ecke, direkt am Waldrand. Ich bin bis zu ihrem Haus mitgegangen und wollte dann allein weiter. Da hielt auf einmal ein roter Ford Capri neben mir. Ich kannte das Auto. Es gehört diesem Schönling namens Wolf, der früher mit Antonia in die Schule gegangen ist. Er grinste mich durchs Autofenster an und rief mich zu sich.
»Hallo, Franzi! Komm, steig ein, ich fahr dich heim. Bin sowieso auf dem Weg zu euch, muss Antonia abholen. Wir treffen uns heute Abend mit der Clique unten in der Stadt.«
Ich wollte eigentlich nicht mitfahren und sagte, die paar Meter könnte ich auch allein gehen. Aber er hat darauf bestanden, und ich gab nach. Kaum hatte ich die Tür zugeschlagen, da fuhr er schon an und bog nach ein paar Minuten ab in Richtung Fernsehturm. Ich fragte ihn, wohin er denn fährt. Er sagte, er hätte im Vereinsheim auf der Waldau seinen Geldbeutel vergessen und müsste deshalb noch einmal zurück in die Gaststätte. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Oben beim Fernsehturm bog er aber in einen Waldweg ein. Ich wunderte mich, wo da eine Gaststätte sein soll. Es war schon dunkel geworden, und er fuhr und fuhr, und plötzlich waren wir irgendwo im Wald. Kein Haus weit und breit. Wolf machte den Motor aus und grinste mich an. Er sah wirklich aus wie ein Wolf, der im Begriff ist, ein Lamm zu reißen, und ich erwartete fast, dass ihm jeden Moment vor Gier der Sabber aus dem Mund laufen würde.
Ich bekam richtig Angst vor ihm und traute mich nicht zu mucksen. Mir wurde klar, dass er mich hereingelegt hatte, und ich überlegte, ob ich aussteigen und in den Wald rennen sollte. Aber es war stockdunkel und kalt. Den Fernsehturm konnte ich nicht mehr sehen, nur die Lichter kreisten in gleichmäßigen Abständen über den Bäumen. Ich hoffte, dass er mich nur küssen wollte. Das hätte ich ausgehalten. Also war ich einfach still und wünschte, dass es schnell vorbei sein würde.
Er machte das Autoradio an und fragte mich leise, ob mir die Musik gefällt. Ich sagte, nicht so besonders. Er wollte wissen, was mir denn dann gefallen würde. Ich konnte nicht sprechen, mein Hals war wie zugeschnürt. Da beugte er sich zu mir vor und küsste mich. Es war aber anders, als ich mir einen richtigen Kuss vorgestellt hatte. Es war einfach nur nass und eklig. Er fummelte mit seiner Hand unter meiner Bluse herum und keuchte. Ich merkte, dass er ernst machte, und versuchte, die Autotür zu öffnen, doch er hielt meine Hand fest und ließ mich nicht los. Aus dem Autoradio quakte eine entsetzliche italienische Schnulze von diesem pferdegesichtigen Sänger. Wolf wurde immer zudringlicher und lag plötzlich ganz auf mir. Ich wollte schreien, doch er hielt mir den Mund zu und drohte, Antonia zu erzählen, dass ich ihn verführt hätte.
Ich flehte ihn an, mich in Ruhe zu lassen, und versprach, niemandem etwas zu erzählen. Doch er hörte gar nicht zu.
Ich kann nicht mehr weiterschreiben. Es war einfach
Weitere Kostenlose Bücher