Die Farbe des Himmels
unzähligen verirrten Gästen erklären. »Das hier ist der Neckarflügel. Das Zimmer 302 finden Sie drüben im Schlossflügel.«
»Na toll«, knurrte Messmer. »Und wie kommen wir dahin?«
»Sie fahren entweder wieder runter in den ersten Stock und nehmen dann den Aufzug auf der anderen Seite, oder sie fahren rauf in den vierten oder fünften Stock. Dort kann man einfach durchlaufen. In der zweiten und dritten Etage geht das leider nicht.« Sie lächelte entschuldigend, als hätte sie selbst die Baupläne für das Hotel entworfen.
»Danke«, sagte Messmer entnervt und kehrte um.
»Der Typ vom Empfang sagte auch etwas von rechter Seite«, meinte Thea, als sie mit dem Aufzug nach oben fuhren. »Warum bist du eigentlich so zielstrebig zum linken Fahrstuhl gelaufen?«
»Und warum tapst du mir so zielstrebig hinterher?«, blaffte Messmer zurück.
»Ich kann heute irgendwie nicht klar denken«, seufzte Thea. »Mein Kopf ist wie leergefegt.«
Der Flur im Schlossflügel sah genauso aus wie der, von dem sie gekommen waren, nur dass er sich in die andere Richtung erstreckte und die Zimmernummern mit zunehmender Länge niedriger wurden. Ganz am Ende auf der linken Seite fanden sie schließlich die Nummer 302. Am Türknauf hing die »Bitte nicht stören«-Karte.
Thea wechselte einen Blick mit Messmer. Sie hätte jetzt gern mit jedem getauscht, einschließlich dem südländisch aussehenden Zimmermädchen, das im Nachbarzimmer putzte.
Messmer ignorierte die rote Karte und klopfte entschlossen an die Tür. »Frau Linder?«, rief er.
Keine Reaktion.
»Frau Linder? Offnen Sie bitte!«
Diesmal war er so laut, dass man ihn sogar im Neckarflügel gehört haben musste. Das Zimmermädchen schaute neugierig aus der Nachbartür.
Messmer winkte sie herbei. »Sie haben doch sicher einen Generalschlüssel. Offnen Sie uns bitte diese Tür.«
Das Mädchen trat erschrocken einen Schritt zurück. »O nein, das darf ich nicht. Ist Zimmer von Frau Lind, weischt? Vielleicht sie schlafen. Vielleicht sie nicht da und haben vergessen rote Karte. Darf nicht lasse fremde Leut in Zimmer.«
Mit einem tiefen Seufzer zog Messmer seine Dienstmarke aus der Gesäßtasche und hielt sie dem Mädchen so dicht unter die Nase, dass es zurückwich.
»Sie könnten uns eine Menge Zeit und Nerven sparen, wenn Sie einfach nur das tun, was ich sage.«
Das Zimmermädchen starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Dann ließ sie wortlos die Magnetkarte ins Türschloss gleiten und zog sie mit einem Ruck wieder heraus. Das grüne Lämpchen leuchtete auf, und der Knauf ließ sich drehen.
»Na also«, sagte Messmer und hielt Thea die Tür auf.
Ich will da nicht rein, dachte Thea in einem Anflug dunkler Vorahnungen. Doch es war zu spät.
Im Zimmer herrschte Halbdunkel, die schweren Vorhänge waren zugezogen. Messmer machte Licht.
»Frau Linder?«, rief er und trat ein.
Das Zimmer war leer.
Er schob die Türen des hohen Spiegelschranks auf, der links neben der Tür stand. Eine dünne Leinenhose, zwei Kleider und eine Sommerjacke hingen auf Bügeln. Auf einem Zwischenbrett lag Unterwäsche. Zwei Paar Sandalen und die Reisetasche lagen auf dem Schrankboden.
»Für eine lange Reise scheint sie nicht gerüstet zu sein.« Messmer wandte sich um und rüttelte an der Badezimmertür gleich gegenüber dem Schrank.
»Abgeschlossen«, murmelte er, während Thea plötzlich fühlte, wie sich alle Härchen in ihrem Nacken aufstellten.
»Frau Linder!«, rief er laut.
»Soll ich die Haustechnik anrufen?« Thea hatte schon den Hörer in der Hand.
»Keine Zeit«, stieß Messmer hervor, ging einen Schritt zurück und rammte seine Schulter mit aller Kraft gegen die Tür. Der Gang zwischen Bad und dem Schrank war schmal, sodass er kaum Anlauf nehmen konnte. Beim dritten Versuch gab das Schloss mit lautem Krachen nach, und Messmer stolperte ins Badezimmer.
»Was Sie machen da?«, kreischte das Zimmermädchen, das mit dem Staublappen in der Hand im Türrahmen erschien.
»Rufen Sie die Direktion, schnell!« Messmer schob sie energisch auf den Flur hinaus und zog die Tür ins Schloss. Draußen fiel die rote Karte zu Boden.
Bevor Messmer sie daran hindern konnte, war Thea im Badezimmer. Einige Sekunden stand sie ganz still. Sie schwankte. Dann sank sie auf die Knie und erbrach sich in die Toilettenschüssel.
Franziska Linder lag in der gefüllten Badewanne. Sie sah eigentlich ganz friedlich aus, wenn man die Tatsache beiseite ließ, dass ihr Gesicht fast vollständig
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