Die Farben der Finsternis (German Edition)
Lokal an, das dort abends geöffnet hat. Irgendwer hat diesen jungen Leuten Bargeld gegeben, aber welcher Job dauert nur sechs Wochen? Suchen Sie nach etwas Ungewöhnlichem. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nur Briefumschläge eintüten mussten. Die Toten haben ihre Bankkonten bis zu ihrem Tod kaum angerührt, das heißt, es muss sich um ordentliche Summen gehandelt haben. Sie konnten mindestens vier Wochen gut davon leben.«
»Bin schon unterwegs. Kommen Sie mit?«
»Ich muss noch was für die ATD erledigen, aber ich lasse mein Handy an. Ich erwarte ein Päckchen von Fletcher. Geben Sie am Empfang Bescheid, dass es per Fahrradboten zum ISISOR-Gebäude in der City geschickt werden soll, sobald es hier eintrifft.«
Armstrong nickte. Er wirkte verärgert, aber Cass ließ es an sich abperlen. Der junge Sergeant musste bei diesem Fall die meiste Drecksarbeit allein erledigen, aber das konnte ihm nicht schaden. Er würde darüber hinwegkommen.
Das ISISOR-Gebäude war einer der letzten Wolkenkratzer, die noch vor Beginn der Rezession gebaut worden waren, und hinter der glatten Glasfassade residierten zwanzig bis dreißig Unternehmen. ISISOR selbst hatte bereits wenige Wochen nach dem Einzug Pleite gemacht, als die Aktienmärkte weltweit zusammengebrochen waren, doch der Name lebte als glanzvolle Adresse für die erfolgreichsten Firmen weiter, die jene Rezession irgendwie überlebt hatten.
Cass fand Hask im achtzehnten Stock, wo er in einem Sitzungssaal arbeitete, der größer war als die gesamte Einsatzzentrale von Paddington Green. Auf einem Tisch lagen frische Kuchen und Sandwiches neben der blubberndenKaffeemaschine. Hask selbst wirkte wie immer überlebensgroß.
»So geht es also im Privatsektor zu«, sagte Cass.
»Sie würden es nicht ertragen, Cass. So viel Reichtum und Privilegien.« Hask stand auf und nahm sich ein Plunderteilchen im Miniaturformat. »Auf sie mit Gebrüll!« Er warf es im Ganzen in den Mund und putzte sich die Finger an einer Serviette ab.
»Geht es immer noch um Gutachten im Zuge der Anschläge?«
»Gott, das hört nie auf.« Hask rollte mit den Augen. »Die meisten Leute sind sowieso kalt wie ein Fisch. Wenn sie wirklich psychische Probleme haben, hat es sicherlich nichts damit zu tun, ob sie am 26. September in London waren oder nicht.«
»Ich nehme an, das haben Sie auch den Chefs erzählt, oder?«
Hask lachte fröhlich und schenkte zwei Becher Kaffee ein. »Das kommt noch. Irgendwann.« Er reichte Cass einen Becher. »Trinken Sie das und weinen Sie.«
Der Kaffee war stark und aromatisch und meilenweit entfernt von der bräunlichen Flüssigkeit, die aus den Kaffeeautomaten der Wache tröpfelte, oder von dem verkochten Gebräu aus der Kaffeemaschine, falls sich überhaupt jemand die Mühe machte, morgens frischen Kaffee durchlaufen zu lassen.
»O ja«, sagte Cass über den duftenden Dampf hinweg, »die reinste Hölle hier.«
»Was ist denn jetzt mit Abigail Porter? Ich dachte, Sie untersuchen diese Studenten-Selbstmorde?«
»Richtig. Porters Schwester gehört auch dazu.«
»Und deswegen hat man Ihnen Zugang zu ihrer persönlichen Akte gewährt?« Hask zog eine Augenbraue hoch.»Ich bin vielleicht altmodisch, aber seit wann bekommt ein normaler DI Zugang zu solch streng vertraulichen Informationen?«
»Fragen Sie mich nicht«, antwortete Cass. »Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Auch gut.« Der dicke Mann grinste. »Ich habe nichts gegen ein bisschen Geheimniskrämerei.«
»Ich wünschte, das könnte ich von mir auch behaupten.« Cass trank einen Schluck Kaffee. »Aber wie kommt es denn nun, dass Ihr Gutachten fehlt?«
»Wahrscheinlich, weil sie bei mir durchgefallen ist. Wenn sie ihr den Job trotzdem gegeben haben, hat das Gremium vermutlich beschlossen, das Gutachten aus Haftungsgründen wegzuschmeißen, falls doch irgendwas schiefgeht. Ich bin eher überrascht, dass es nicht durch das Gutachten eines anderen Arztes ersetzt wurde. Es gibt bestimmt viele respektable Vertreter meiner Zunft, die sie hätten bestehen lassen.«
»Wenn das so ist, warum ist sie dann bei Ihnen durchgefallen? Weil sie zu jung war?«
»Himmel, nein! Junge Leute lassen sich für Hinz und Kunz umbringen. In ihrem Berufsfeld ist Jugend eine Tugend.« Hask lehnte sich an den glänzend polierten Holztisch, der unter seinem Gewicht ächzte, so solide er auch gebaut war.
Er sah zu Cass hoch. »Sie hatte einfach etwas an sich, was irgendwie verkehrt war. Die Antworten waren alle richtig und auf
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