Die Farben der Finsternis (German Edition)
Mr Bright eine Nanosekunde lang die Luft angehalten hatte. Das konnte er verstehen. Asher Red, die aalglatte Fassade Der Bank im Fall des Fliegenmanns, der Chef von Cass’ Bruder Christian, machte jetzt nicht mehr so einen superloyalen Eindruck.
»Das ist wirklich interessant«, sagte Mr Bright schließlich.
Ohne ein weiteres Wort legte Cass auf und sah auf die Uhr. Armstrong hatte noch ein Weilchen zu tun, also gab es keinen Grund, ins Büro zurückzukehren. Wahrscheinlich hatte er genug Zeit für einen weiteren Besuch.
Er musste seine Dienstmarke am Eingang des St. Bede’s Hospital vorzeigen, sonst hätte die Empfangsdame Dr. Gibbs nicht mal angepiepst, und selbst dann musterte sie ihn misstrauisch durch die verstärkte Glasscheibe, die ihren Schreibtisch von der Öffentlichkeit trennte. Kein Wunder – St. Bede’s war eins der letzten Krankenhäuser in London, das gesetzlich Versicherte und Patienten behandelte, die es sich nicht leisten konnten, woanders hinzugehen. Viele von ihnen waren mit Sicherheit infiziert. Man musste niemandem mehr ins Gesicht spucken, der Virus fand seinen Weg von selbst.
Endlich wurde er von einer Krankenschwester abgeholt und in einen kleinen Aufenthaltsraum tief im Inneren des Krankenhauses gebracht, wo sich ein Mann mittleren Altersgerade einen Pullover überzog. Zu seinen Füßen lag ein zerknitterter grüner OP-Kittel.
»Dr. Gibbs?«, fragte Cass.
»Sie haben Glück, dass Sie mich erwischen. Ich wollte gerade nach Hause«, sagte der Arzt und zog den Pullover über den Bauch. »Acht Stunden Notaufnahme reichen.« Er lächelte, aber er hatte schwere Tränensäcke, und Cass war sicher, dass es nicht am Styling sondern an mangelnder Zeit für einen Friseurbesuch lag, wie ungepflegt die Frisur des Mannes aussah. Endlich hatte Cass jemanden gefunden, der so müde wirkte, wie er selbst sich fühlte.
»Also, worum geht’s? Um die RTA von eben?«
»Nein«, sagte Cass, »ich hätte da eine Frage zu einem Vorfall während Ihrer Zeit im Portman Hospital. Auf der Entbindungsstation von Flush5.«
»Ach ja?« Dr. Gibbs runzelte die Stirn. »Das ist lange her. Zehn Jahre?« Er lächelte. »Ich würde gerne sagen, dass es seitdem mit mir vorangegangen ist, aber das wäre nicht ganz zutreffend. Was wollen Sie denn wissen? Hoffentlich kann ich mich noch daran erinnern.« Er warf den Kittel in einen großen grünen Mülleimer in der Ecke und holte ein Paar Turnschuhe aus seinem Schließfach.
»Einige Monate nach Eröffnung der Station starb in Ihrer Schicht ein Baby. Ashley Gray. Seine Eltern hießen Owen und Elizabeth Gray. Ich wüsste gerne mehr über die Ereignisse dieser Nacht.«
»Ich fürchte, da sind Sie umsonst gekommen«, entgegnete Dr. Gibbs und wechselte die Schuhe. »In dieser Nacht habe ich nicht gearbeitet.«
»Doch. Ihr Name steht auf dem Schichtplan.«
»Ich war wirklich nicht dabei. In meinem Dienst ist an dieser Klinik nur ein Baby gestorben. Jemand hat meine Schicht übernommen, und zwar in letzter Minute.«
»Was meinen Sie damit?«
»Genau das, was ich gesagt habe. Ich wollte buchstäblich gerade das Haus verlassen und zur Arbeit gehen, als ich einen Anruf bekam. Sie wollten einem neuen Arzt die Schicht zur Probe überlassen.« Dr. Gibbs verstaute seine Arbeitsschuhe im Schließfach.
»Kam Ihnen das nicht komisch vor?«
»Nicht besonders. Ich war alt genug, um mich über die ausgefallene Schicht zu freuen, und schon damals legte sich niemand mit Flush5 an. Außerdem wollten sie trotzdem zahlen, also gab es keinen Grund zur Beschwerde. Wahrscheinlich steht mein Name deshalb noch auf der Liste derjenigen, die damals Dienst hatten. Eine Panne bei der Gehaltsabrechnung, schätze ich. Natürlich war ich ein wenig überrascht, als ich am nächsten Tag hörte, was passiert war, weil Elizabeth Gray bis dahin eine wahre Bilderbuchschwangerschaft gehabt hatte. Aber man weiß nie.«
Irgendwas stimmte hier nicht. Der Arzt wusste zwar möglicherweise wirklich nicht, was in jener Nacht passiert war, doch das Ganze stank zum Himmel.
»Wer hat Sie wegen des Schichtwechsels angerufen?«
»Ich glaube, es war die Stationsschwester, wenn ich mich recht erinnere – aber mein Gedächtnis trügt mich häufig. Meistens kann ich mich nachmittags kaum noch daran erinnern, was es zum Mittagessen gab.«
»Wissen Sie, wie der Arzt hieß, der die Probeschicht übernommen hat?«
»Tut mir leid, nein.« Dr. Gibbs schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht mehr, ob mir das überhaupt
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