Die Farben der Finsternis (German Edition)
auf den Bürgersteig ausweichen konnten, und wenn er noch so laut hupte. Ein Team fuhr zur Universität, um nachzusehen, ob Amanda Kemble sich dort aufhielt, und Verstärkung war zur Wohnung der beiden Frauen unterwegs. Wenn Rachel Honey erst nachmittags eine Vorlesung hatte, war sie wahrscheinlich zu Hause. Was passieren würde, wenn Amanda auch dort war und Rachel auf die Idee kam, sie zur Rede zu stellen, wusste Gott allein. Nein, verbesserte er sich selbst, das musste Gott ihm nicht erst sagen, er wusste auch so, dass Amanda Kemble nicht kampflos aufgab. Was hatte sie schon zu verlieren?
An der Brücke konnte Cass endlich auf die Tube drücken. Zehn Minuten. Mehr brauchte er nicht. Zehn Minuten, bis er mit Sicherheit sagen konnte, dass es Rachel Honey gut ging. Er schlug auf das Lenkrad und konzentrierte all seine Gedanken darauf, dass es vorwärts ging. Bei aller anderen Scheiße war es jetzt das Wichtigste, dass nicht noch ein Teenager starb. Rachel Honey würde nicht sterben, wenn er Dienst hatte. Scheiße noch mal, sie durfte nicht sterben!
»Angie hatte keine Angst im Dunkeln«, sagte Rachel und versuchte ihre Stimme normal klingen zu lassen. Nicht auf das Messer gucken, einfach weiterreden . Der Stahl funkelte und machte sich über sie lustig, aber sie sah Amanda fest ins Gesicht. »Sie hat den Höhlenausflug mitgemacht.«
» Das hat dich misstrauisch gemacht? Echt?«, fauchteAmanda mit zuckendem Mund. »Nicht dass es noch wichtig wäre. Ich habe Streifenwagen auf dem Weg zur Uni gesehen und Cage geht nicht ans Telefon. Man muss kein Genie sein, um zu erraten, dass er diesem blöden Polizisten alles erzählt hat. Wahrscheinlich hatte er Gewissensbisse.«
»Oder sie haben es herausgefunden«, sagte Rachel, »so wie ich.«
»Wieso, weil sie in diese Höhle gegangen ist? Dafür bekomme ich wohl kaum lebenslänglich.«
»Du konntest nicht an dein Schließfach. Damals, als die Polizisten in der Uni waren, habe ich mir nichts dabei gedacht. Aber du konntest nicht an dein Schließfach, weil du den falschen Schlüssel mitgenommen hattest. Angies Schlüssel, nicht deinen – den du gestohlen hattest, damit du ›Chaos im Dunkel‹ in ihre Schließfachtür schreiben konntest.«
»Das war Pech, aber der Detective hat es nicht gemerkt, glaube ich.«
»Ich aber.« Rachel riss die Augen auf, als ihr noch etwas dämmerte. »An dem Morgen, als wir aus der Vorlesung kamen – da wolltest du, dass wir erst am Schluss hinausgingen und die anderen vorließen, und du hast gesagt, irgendwer habe Angie als Schlampe beschimpft wegen ihres Freundes. Du hast gesagt, die Leute würden so leicht auf Gerüchte reinfallen.« Sie japste ein wenig. »Das war eine Drohung, oder? Du hast so lange mit dem Hinausgehen gewartet, damit Dr. Cage es hören konnte, stimmt’s?«
»Das hat alles so viel Spaß gemacht.« Amanda lächelte. »Ehrlich.«
Rachel stieß mit dem Fuß gegen den Umschlag mit Bargeld. »Hast du ihn erpresst?«, fragte sie. »Hat er Angie umgebracht?«
»Erpresst? Warum sollte ich das tun?« Amanda drehtedas Handgelenk und das Messer mit dem Wellenschliff zeigte auf die Blätter am Boden. »Du hast doch gesehen, dass ich haufenweise Geld habe. Ich habe reich geerbt. Das Bargeld habe ich später bei Angie gefunden. Ich dachte, ich nehme es lieber an mich, damit niemand Verdacht schöpft. Ich wollte es Anthony eigentlich zurückgeben, aber er hat sich ja so angestellt, überhaupt mit mir gesehen zu werden.«
»Anthony?«, fragte Rachel. »Dr. Cage?«
»Ja. Nach allem, was ich für ihn getan habe, wäre es ihm anscheinend am liebsten, wenn ich von der Bildfläche verschwände. So funktioniert das aber nicht.«
Rachel wurde mulmig. »Was hast du denn für ihn getan?«
»Ich habe Angie erledigt, was sonst?« Die dünne junge Frau trat einen Schritt vor und packte das Messer fester, als wäre ihr plötzlich wieder eingefallen, was sie damit vorhatte.
Rachel hatte Amanda immer für schwach gehalten, aber ihre sehnigen Arme sprachen eine andere Sprache. Sie hatte nichts Zerbrechliches mehr an sich. Rachel konnte ihr Gewicht in die Waagschale werfen, aber Amanda hatte ein Messer und ihr Irrsinn trieb sie an.
»Was hast du getan?«, fragte sie leise.
»Sie waren in der Küche, als ich nach Hause kam. Angie lag auf dem Boden, total weggetreten, und blutete am Kopf, wo sie sich gestoßen hatte. Trotzdem heulte sie ihm noch was vor. Er war in Panik und wiederholte ständig, dass er das nicht gewollt habe und sie nur
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