Die Farben der Finsternis (German Edition)
Wand und in der Mitte des Zimmers lag eine aufblasbare Matratze, ordentlich mit Kopfkissen und Bettdecke. Sie hatten im Secondhandladen eine billige Kommode und einen Beistelltisch gekauft, obwohl Amanda ziemlich viele Sachen in der alten Wohnung gelassen hatte, die sie erst holen wollte, wenn der Mietvertrag abgelaufen war. Vielleicht war das, wonach Rachel suchte, doch eher dort als hier? Was suchte sie denn überhaupt? Ein Geständnis? Einen Schließfachschlüssel? Oder vielleicht Liebesbriefe?
Als sie die kleine Schublade des Beistelltisches aufzog, bemühte sie sich, die Gesichtscremes und andere Dinge, die darauf standen, nicht umzuwerfen. In der Schublade war nicht viel zu finden: mehrere Zeitschriften, DIN-A4-Papier und Kugelschreiber unter einem alten Lehrbuch von der Uni sowie ein Schminktäschchen. Rachel durchsuchte es rasch: einige Lippenstifte, Eyeliner und Wimperntusche, nichts Ungewöhnliches. Sie schob die Schublade wieder zu und zuckte kurz zusammen, als Holz über Holz kratzte. Als ausgekochte Journalistin präsentierte sie sich hier nicht gerade. Sie machte sich schon in die Hose, weil sie ein Zimmer in ihrer eigenen Wohnung durchsuchte – wie sollte sie je verdeckt recherchieren, wenn sie nicht mal das hinbekam?
Die Durchsuchung der Kommode auf der anderen Seite des kleinen Zimmers brachte auch nichts. Obendrauf war das reinste Durcheinander aus Schmuckbäumchen und diversen anderen Kleinigkeiten, aber in den Schubladen war alles ordentlich gefaltet und sortiert. Sogar die Unterwäsche war zusammengelegt und hatte einen festen Platz in der Lade: Slips links, Strumpfhosen und Socken in derMitte, BHs rechts, alles nach Farben sortiert. Rachel suchte vorsichtig darunter und darum herum, fand jedoch keine versteckten Schätze. Und die Sachen selbst waren kein bisschen verführerisch. War das nicht seltsam nach dem, was sie gesehen hatte? Doch was hatte sie eigentlich gesehen? Wie die beiden im Auto gesessen und aufeinander eingeredet hatten; dann war Amanda ausgestiegen – aber erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie sah. Rachel war überzeugt, dass es etwas zu bedeuten hatte, aber was, wenn es nicht um eine Affäre ging? Sie warf noch einen Blick auf die vernünftige Unterwäsche und die pedantische Ordnung, die in solch scharfem Kontrast zu dem Durcheinander auf der Kommode stand. Wer seine Slips in quadratischen Stapeln aufbewahrte, musste Ringe und Ketten doch in gleicher Weise ordnen, oder nicht?
Rachel zog die Stirn kraus und ging die übrigen Schubladen durch. Sie schob die Hand sorgfältig zwischen alle gefalteten Tops und Pullover, um sicherzugehen, dass dort nichts versteckt war, was nicht dorthin gehörte. Ohne Erfolg. Dann hockte sie sich kurz auf die Fersen, kroch um das Möbelstück herum und prüfte, ob vielleicht etwas zwischen dem Holz und der Wand steckte. Vergeblich. Nichts und wieder nichts, nur Anziehsachen und Accessoires. Wo bewahrte Amanda bloß ihre persönlichen Sachen auf ? Rachel hätte an Amandas Stelle Fotos und Bilder mitgebracht, damit es in dem neuen Zimmer heimeliger wurde. Aber entweder hatte Amanda diese Sachen in ihrer alten Wohnung gelassen, die sie mit Angie geteilt hatte, oder sie besaß einfach nichts dergleichen. Beides wäre sonderbar. Irgendwas musste hier sein.
Rachel schaute unter der Bettdecke nach, vergeblich, denn dort war nur das Bettlaken, das fest über die aufgeblasene Matratze gespannt war. Sie richtete nur oberflächlichdie Bettdecke, bevor sie zum College fuhr, und das auch nur an Tagen, an denen sie sich besonders gewissenhaft vorkam. So fest, wie der Stoff gespannt war, machte Amanda ihr Bett jeden Morgen mit der Tüchtigkeit einer Krankenschwester. Rachel legte die Bettdecke so ordentlich wie möglich darüber und fuhr mit der Hand der Länge nach zwischen Matratze und Teppichboden. Danach knöpfte sie die Kissenbezüge auf, aber auch dort fand sie nichts außer den Schaumstoffkissen.
Ihre Angst war verflogen, jetzt nagte die Enttäuschung an ihr. Ihr Pferdeschwanz hatte sich gelockert und sie strich sich die Strähnen aus dem Gesicht, während sie sich umschaute. Hatte sie etwas vergessen? In der Ecke stand der Fernseher auf einer umgedrehten dunkelblauen Plastikbox. Ihr Herz schlug schneller, als sie vorsichtig den schweren Bildschirm hochhob – wo hatte Amanda nur dieses Relikt aus der Steinzeit her? – und auf dem Teppichboden abstellte. Dann setzte sie sich neben die Box und drehte sie um. Sie lächelte
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