Die Farben der Finsternis (German Edition)
hatte Cass eine Ausgabe der Zeitung auf dem Schreibtisch und starrte auf den Computer. Er hatte den Satz »Chaos im Dunkel« in die Suchmaschine eingegeben. Auch nach dem Gespräch mit den Studenten vom Vortag war er noch überrascht, wie viele Foren und Nachrichtenportale die Sache aufgegriffen hatten. Er trieb sich seit fast einer Stunde darin herum und hatte bisher nur die Oberfläche angekratzt.
»Bis zum Nachmittag sind wir wahrscheinlich so weit, dass wir die Leichen ausgraben können«, sagte er. »Ich habe Eagleton angerufen und er bereitet die Sache vor. Ich warte nur noch auf das offizielle Okay, dann schicke ich ein Team hin.«
Armstrong stellte den frischen Kaffee ab. »Wir müssendie Familien Dodds und Busby informieren, aber die Eltern des Mädchens sind in Guildford und Busbys irgendwo in Buckinghamshire. Sollen wir das der dortigen Polizei überlassen?«
»Nein, fahren Sie mit einer Polizistin hin. Ich möchte etwas über das Leben der beiden erfahren. Dafür kümmere ich mich um die Unis.« Er seufzte. »Das Internet ist voll mit diesem Mist und er verbreitet sich wie ein Buschfeuer. Wir können praktisch zusehen, wie ein neuer urbaner Mythos entsteht.«
»Ich weiß, ich habe gestern Abend selbst noch einmal eine Suche gestartet. Wonach suchen Sie denn?«
»Nach irgendeiner Referenz, die schon vor den Todesfällen da war.«
»Am besten setzen Sie nach der Teambesprechung ein paar von der Mannschaft dran.« Armstrong verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber die können wahrscheinlich besser mit dem Internet umgehen als Sie.«
»Ich bin gerade noch in den Dreißigern, ja?« Cass war leicht angefressen. »Nicht mehr lange, aber ein Dinosaurier bin ich auch noch nicht.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Irgendwie scheint es Ihnen heute etwas mehr Spaß zu machen, mit mir zusammenzuarbeiten.«
»Es ist schön, einen richtigen Fall zu haben.«
»Das Gefühl kenne ich.« Cass schaute auf die Zeitung. »Was haben Sie studiert, bevor Sie zur Polizei gegangen sind?«
»Politik und Journalismus. Wieso?«
Cass hatte es für möglich gehalten, dass der junge Mann ihn anlog, und gehofft, er würde es nicht tun. Immerhin bewies die Antwort, dass er Cass nicht für einen Idioten hielt.
»In diesem Artikel stecken wertvolle Informationen. Ich war überrascht, dass es auch um Cory Denters Geschichte ging, obwohl seine Eltern gar nicht gemerkt hatten, dass er ›Chaos im Dunkel‹ in seinen Ordner gekritzelt hatte. Fanden Sie das nicht auffällig? Ich habe sie gerade angerufen. Wahrscheinlich hätten sie es besser gefunden, wenn sie von uns gehört hätten, dass irgendwas mit dem Selbstmord ihres Sohnes nicht stimmt, statt es in der Zeitung zu lesen.«
»Sie wussten es doch. Schließlich waren Sie gestern bei ihnen. Vielleicht hatten sie es vorher nicht vermutet, aber warum hätten Sie sonst dort aufkreuzen sollen? Spätestens da war ihnen klar, dass etwas faul ist.«
Cass widmete sich wieder der Zeitung. Er wollte seinen begeisterungsfähigen jungen Sergeant nicht so leicht davonkommen lassen. »Es ist gut geschrieben. Interessant genug, geht aber nicht so weit, dass wir bei den Ermittlungen Probleme bekommen. Außerdem wird hier geradezu von mir geschwärmt.« Cass musterte seinen Sergeant nachdenklich. »Haben Sie Freunde bei dieser Zeitung?«
Armstrong hielt seinem Blick stand. »Es ist wichtig, in diesem Fall zu ermitteln, Sir. Und jetzt können wir genau das tun.«
»Der Zweck heiligt die Mittel?«
»Zu den Mitteln kann ich nichts sagen.« Armstrong sah auf die Uhr. »Ich trommele lieber das Team zum Briefing zusammen, wenn ich heute noch zu den beiden Eltern fahren soll. Sonst noch was, Sir?«
»Nein.« Cass lehnte sich zurück. »Aber gehen Sie nie wieder ohne meine Einwilligung zur Zeitung, sonst werden Sie wegen solcher Geschichten noch gefeuert.«
»Werde ich nicht.« Armstrong war schon fast durch die Tür. »Sie können mir vertrauen.«
Die Zweideutigkeit dieser Antwort war Cass nicht entgangen.Sein neuer Sergeant hatte offenbar mehr zu bieten als erwartet. Damit konnte er leben, dachte er und blickte wieder auf den Bildschirm mit den Kurznachrichten, die fast alle in einer Art Internetversion aus SMS-Kürzeln getextet waren, wie sie Jugendliche benutzten. Mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit konnte man es bei der Polizei weit bringen. Doch von nun an würde er Armstrong im Auge behalten. Der junge Mann hielt sich für schlau, aber die Jungen
Weitere Kostenlose Bücher