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Die Farben der Finsternis (German Edition)

Die Farben der Finsternis (German Edition)

Titel: Die Farben der Finsternis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Pinborough
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die ganze Zeit. Sie hörte nicht hin. Ihr keuchender Atem übertönte die Stimme. Als sie zueinem Sprint beschleunigte, lächelte der Mann im Anzug. Er tauchte in eine Schar von Fußgängern, die inmitten des plötzlichen Aufruhrs wie Kaninchen im Scheinwerferlicht erstarrt waren, und Abigail verlor ihn wieder. Bastard. Wie konnte er so schnell sein? Sie hatte ihn nicht mal rennen sehen. Ihre Bluse klebte an ihrem Rücken. Bald würden die anderen sie einholen, doch sie wollte den Mann vor ihnen erreichen. Warum um Himmels willen hatte er die Bombe an dem Mahnmal nicht gezündet? Sie hätte nichts dagegen tun können. Außer ihr hatte ihn niemand gesehen. Wieso verhöhnte er sie?
    Er wartete am Eingang der U-Bahn-Station Piccadilly Circus auf sie. Sie war schon fast bei ihm, als er hineinging. Fluchend lief sie in die stinkende Hitze der klammen U-Bahn und entdeckte ihn wieder, als er die Rolltreppe zur Bakerloo Line nahm. Er stand verkehrt herum und sah nach oben, um sie anzulächeln, während sein Gesicht nach unten entschwand. Abigail war völlig außer Atem. Ihr Haaransatz juckte vor Schweiß. Sie drängte sich an Pendlern und Touristen vorbei, deren wütende Ausrufe in erschrockenes Japsen übergingen, wenn sie die Waffe in ihrer Hand entdeckten, und miteinander rangelten, um ihr auf der vollen Rolltreppe möglichst rasch aus dem Weg zu gehen. Die Ungeschickteren wurden getreten und abgedrängt, während Abigail vergeblich versuchte, ihr Ziel im Auge zu behalten.
    »In welche Richtung ist der Dicke gerannt?«, rief sie in die Menge am Fuß der Rolltreppe. Die Menschen starrten sie mit aufgerissenen Augen an. Es gab zwei Möglichkeiten. Scheiß drauf, dachte sie und lief nach links. Wenn sie den falschen Bahnsteig genommen hatte, war er wahrscheinlich auf und davon, ehe sie sich zu dem anderen durchgekämpft hatte, selbst wenn nicht viel Verkehr war. Aber beieinem Glücksspiel kam es nur auf die eigene Entscheidung an – gewinnen oder verlieren. Sie hatte sich für links entschieden. Jemand stolperte, als sie die Treppe runterraste und Aus dem Weg brüllte, obwohl die Leute nirgendwohin ausweichen konnten. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein Mann sich bückte, um der zitternden Frau aufzuhelfen. Abigail verschwendete keinen weiteren Gedanken an sie. Die Menschen behinderten sie nur bei ihrer Jagd.
    Doch während sie nur mühsam vorankam, hatte der dicke Mann damit kein Problem. Er stand am anderen Ende der Bitte-zurücktreten- Linie in einem freien Kreis auf dem Bahnsteig. Der abgestandene Atem hing schwer in der Luft, während die drängenden Massen auf die nächste überfüllte Bahn warteten, doch trotz der vielen Menschen war es geradezu unheimlich leise. Vielleicht merkten die Leute auch, dass mit dem Mann etwas nicht stimmte.
    »Keine Bewegung«, sagte Abigail und hob die Pistole. Sie ging langsam vorwärts, bis sie nur noch wenige Schritte voneinander trennten. Er umklammerte weiterhin das Gerät und reckte den fetten Daumen. Aus der Nähe sah seine fleckige Haut noch schlimmer aus, die roten Sprenkel wirkten wie Blutergüsse. Obwohl er nicht schwitzte, glänzte seine Haut, als wäre er glitschig vor Nässe, nur auf der anderen Seite seiner Poren. Er hatte schwarze Augen, darauf hätte sie einen Eid geschworen – nicht dunkelbraun, sondern durch und durch schwarz.
    »Legen Sie das hin und treten Sie zurück.« Ihre Stimme bebte. Eigentlich hätte sie sich von dem sonderbaren Mann abgestoßen fühlen müssen, stattdessen fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie wollte über diesen merkwürdigen, fetten Körper streichen – aber diese Sehnsucht war völlig asexuell. Sie kam aus tiefsten Tiefen, ursprünglicher noch, irgendwo aus ihren Zellen, aus ihrem innersten Wesen.Sie kämpfte dagegen an und hielt die Waffe auf ihn gerichtet.
    »Legen Sie das hin, habe ich gesagt.«
    Der Dicke lächelte. Sein Zahnfleisch blutete, dünne rosafarbene Rinnsale liefen über seine Lippen. Was hatte der Mann? Die Strahlenkrankheit? Wie konnte er bloß so fett sein und trotzdem so schnell und dabei auch noch so krank?
    »Seit wann lässt du dich leerlaufen, Abigail?« Er hielt noch immer die Hand mit dem erhobenen Daumen hoch. Seine Stimme war wie eine vom Wind getragene Melodie. Sie raubte ihr den Atem.
    »Du spürst es doch, oder nicht? Wie alles ausläuft?« Er lächelte noch mehr und neigte wieder den Kopf. »Ist das nicht schön?«
    »Wer sind Sie?«, fragte sie. Ihre eigene Stimme knirschte rau und hässlich. Erde zu

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