Die Farben der Finsternis (German Edition)
mitversichert war, schon gar nicht in der Schwangerschaft. Sie war schon im sechsten Monat, als er es von seinem Chef erfuhr.«
»Für wen hat er gearbeitet?«
»Das weiß ich nicht mehr. Für eine Finanzgesellschaft mit einem ausländischen Namen. Irgendwo in der Schweiz, glaube ich.«
»Cathleen«, fiel Roger Watson ihr ins Wort. »Du sollst doch nicht darüber reden. Verflixt und zugenäht, Frau, kannst du nicht ein Mal den Mund halten?«
»Das ist doch jetzt alles schon so lange her – da kann doch nichts dabei sein, oder? Schließlich reden wir nicht über den Prozess.«
»Über welchen Prozess?«, fragte Cass. Er packte den dünnen Henkel der Tasse fester und hatte schon Angst,er würde abbrechen. »Wieso sollen Sie nicht darüber reden?«
»Sie wollten klagen.« Roger Watson beugte sich in seinem Sessel vor. Vielleicht hatte er genug davon, das Reden seiner Frau zu überlassen. »Owen war unzufrieden mit der Art und Weise, wie die Geburt in der Klinik abgelaufen war. Wir konnten das nicht nachvollziehen, weil wir erst dort ankamen, als schon alles vorbei war, aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt. Ehrlich gesagt wäre es mir lieber gewesen, er hätte sich beruhigt und mein Mädchen in Ruhe trauern lassen. Wir hatten alle schon genug an dieser schrecklichen Sache zu knabbern. Aber er ließ nicht locker.«
»Deshalb haben wir ihnen den Urlaub spendiert«, fuhr seine Frau fort, »Owen bekam auf der Arbeit schon Ärger, weil er so ein Theater machte, und er war drauf und dran, einen Prozess wegen eines Behandlungsfehlers anzustrengen. Aber das alles hätte Klein Ashley nicht wieder lebendig gemacht. Deshalb dachten wir, Ferien würden ihnen guttun.«
Ihr Gesicht zuckte, als die Gefühle sie überwältigten, denen sie nicht anders Ausdruck verleihen konnte – oder es sich nicht gestattete.
Cass fragte sich, wie schwer sie an ihrer Schuld zu tragen hatte. Sollte er ihr sagen, dass sie das Schicksal nicht beeinflusst hatten, indem sie den Urlaub bezahlt hatten? Die Watsons konnten sich höchstens vorwerfen, dass sie es den Leuten leichter gemacht hatten, denen es ungelegen kam, als Owen Gray sich weigerte, den Tod seines Sohnes zu akzeptieren.
»Und dann sind sie gestorben«, sagte Roger Watson, »und erst wollten wir die Sache weiterverfolgen, wie Owen es sich gewünscht hätte und auch Elizabeth, weil sie zu ihm gehalten hat, aber wegen des kaputten Wagens gab esschon genug Probleme mit der Auszahlung ihrer Lebensversicherung. Außerdem war es sehr schwierig, ihre Leichen aus Frankreich überführen zu lassen.« Er schaute wieder zum Fernseher, als wäre die dort gezeigte Verwüstung der reinste Trost im Vergleich zu seinem Verlust.
»Und dann bekamen wir Besuch von einem Mann, der uns einen Vergleich anbot.« Cathleen Watson warf ihrem Mann ängstliche Blicke zu. »Wir waren erschöpft. Wir hatten alles verloren.«
»Wir haben das Geld genommen.« Roger Watson sah Cass trotzig an. »Und ich habe es nie bereut. Wir bekamen die Leiche unserer Tochter zurück und konnten sie zur ewigen Ruhe betten. Alle zusammen.«
»Ging die Sache mit der Lebensversicherung dann auch glatt?«, fragte Cass.
»Ja.«
»Fanden Sie das nicht alles ein wenig seltsam?«
»Was ich wie fand, geht Sie nichts an.« Roger Watson stand auf. »Es war mir egal, ob irgendwas daran seltsam war. Ich wollte nur, dass es vorbei war.«
Cass wertete das als Aufforderung und stand ebenfalls auf. »Es tut mir leid, dass ich Sie mit diesem unangenehmen Thema belästigen musste, Mr Watson. Ich tue nur meine Pflicht.«
»Das ist völlig in Ordnung.« Cathleen Watson warf ihrem Mann einen bösen Blick zu. »Sie haben uns nicht belästigt.« Sie lächelte. »Kommen Sie, ich bringe Sie zur Tür.«
Im Flur blieb Cass noch mal stehen. »Wissen Sie zufällig noch, wie der Stationsarzt hieß, der an jenem Abend Dienst hatte?«
Mrs Watson öffnete den Mund, um zu antworten, aber das übernahm ihr Mann, der an der Tür zum Wohnzimmer stand. »Nein. Keine Ahnung.«
Cathleen Watson machte den Mund wieder zu und lächelte entschuldigend.
»Das habe ich mir gedacht«, sagte Cass und lächelte den Mann an, dessen Enkel er auf seinem Knie hatte reiten lassen und mit dem er Fußball gespielt hatte.
Die Tür schloss sich hinter ihm.
Cass setzte sich ins Auto, aber statt loszufahren, behielt er das Haus im Auge. Die Vorhänge bewegten sich nicht. Sie waren froh, dass er weg war, drehten wahrscheinlich den Fernseher wieder lauter und redeten
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