Die Farben der Sehnsucht
würde.
Als sie die Tür zu seinem Büro öffnete, war er gerade in ein Telefongespräch vertieft. Er blickte auf und machte große Augen, als er sie hereinkommen sah. Alix konnte nicht genau sagen, ob er überrascht war, sie zu sehen, oder geschockt wegen ihres Äußeren – wegen des geschwollenen Gesichtes mit den roten Quaddeln und der lilafarbenen Streifen von der Lotion, die deutlich auf ihrem Hals und ihren Armen zu sehen waren. Süß, sehr süß.
Er beendete eilig das Gespräch, und Alix machte es sich bequem. Oder so bequem, wie es sich jemand, der an Nesselausschlag litt, eben machen konnte. Sie hockte sich auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen.
„Alix, was machst du hier?“ Bevor sie antworten konnte, fragte er besorgt: „Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Sieht es so aus, als wäre alles in Ordnung?“, schoss sie zurück. „Ich habe Nesselsucht.“
Er machte sich Sorgen. „Hast du dir einen Termin beim Arzt geben lassen?“
Sie wusste aus Erfahrung, dass auch ein Arzt nur die Symptome behandeln konnte – mit den üblichen Mitteln. „Kein Arzt der Welt kann mir helfen.“ Obwohl sie eine Jacke trug, musste sie sich kratzen. Nur mit größter Mühe gelang es ihr aufzuhören.
„Die Nerven?“, fragte er behutsam.
Alix versuchte, ihn nicht merken zu lassen, wie aufgewühlt sie war. Doch sie schaffte es nicht ganz. „So etwas in der Art“, erwiderte sie scharf.
„Du musst dich entspannen.“ Zerstreut griff er nach seinem Kaffeebecher, der neben dem Telefon stand. „Kann ich irgendetwas tun?“
„Das kannst du.“
Offenbar überraschte ihre Antwort ihn, denn er blickte sie mit großen Augen an. „Was denn?“
Darauf hatte sie gewartet.„Sag diese riesige, schicke Hochzeitsfeier ab“, flehte sie. „Lass uns weggehen und einfach nur heiraten. Es wäre kein Durchbrennen, es würden nur nicht all diese fremden Menschen an der Feier teilnehmen. Die einzigen Menschen, die wir brauchen und bei uns haben sollten, sind die Familie und ein paar Freunde. Jordan, können wir das machen? Können wir nicht diesen Wahnsinn beenden und einfach eine ganz schlichte, intime Hochzeit feiern? Bitte?“, fügte sie hinzu und sah ihn eindringlich an.
Jordans Blick verfinsterte sich. „Du willst die Hochzeit absagen?“
„Nur diese große, ausgefallene Feier – um stattdessen ein kleines, vernünftiges Fest zu begehen.“ Das Jucken war zu stark, um es länger zu ignorieren, und durch ihre Jeans hindurch begann sie, unerbittlich ihren Oberschenkel zu kratzen.
Ihr Verlobter ließ – offensichtlich enttäuscht – seine Schultern sinken. „Alix, diese Diskussion hatten wir schon mal, erinnerst du dich? Wir können nicht in letzter Sekunde sämtliche Pläne umschmeißen. Das wäre einfach zu schwierig und würde für jede Menge verletzter Gefühle und Wut sorgen.“
„Denkst du nicht, dass ich nicht auch weiß , dass es schon fast zu spät ist?“, rief sie. Heute war der erste Mai – die Hochzeit würde also in exakt vier Wochen und einem Tag stattfinden. Sie war sich bewusst darüber, was es bedeutete, die Feier abzublasen. Die Einladungen waren verschickt und die Gäste hatten bereits damit begonnen, Geschenke zu schicken. Zwar hatte Alix bisher noch keines zu Gesicht bekommen, aber Jordan hatte ihr erzählt, dass sich bei seinen Eltern zu Hause allmählich ein Berg an Geschenken türmte.
„Ich weiß, dass du Angst hast“, begann er.
„ Sieh mich an“ , schrie sie und streckte ihre Arme aus, obwohl die Ärmel ihrer Jeansjacke ihren Ausschlag größtenteils verdeckten. „Ich habe am ganzen Körper Nesselausschlag. Und es gibt noch etwas, das ich dir bisher verschwiegen habe, weil ich wusste, dass du ausflippen würdest.“
„Noch etwas? Was?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Ich habe wieder angefangen zu rauchen.“
Jordan sah sie zwar eindringlich an, aber sie musste ihm zugute halten, dass er ihr keine Vorwürfe machte. „Hat es geholfen?“
Wieder streckte sie ihre Arme aus, damit er es sehen konnte. Sie schob die Ärmel hoch und darunter kamen die roten Quaddeln und die Streifen der lilafarbenen Lotion zum Vorschein. „Sag du es mir.“
Er nickte. „Offensichtlich nicht.“
„Ich habe die Zigarettenschachtel heute Morgen weggeworfen, was vielleicht nicht die beste Idee war.“ Trotzdem konnte sie genauso gut jetzt aufhören. Bei den Preisen für Zigaretten hätte sie sich diese Sucht sowieso nicht leisten
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