Die Farben der Sehnsucht
wundervoll für einen Menschen wie Ihre Mutter. Die individuelle Betreuung ist viel ausgeprägter und das Umfeld und die Abläufe kontrolliert und geregelt. Ich würde vorschlagen, dass Sie und Ihre Schwester ein paar dieser Einrichtungen besuchen, mit den Mitarbeitern sprechen und sich eine Meinung dazu bilden. Über drei dieser Einrichtungen kann ich ihnen Informationsmaterial geben.“ Sie zog eine Schublade auf, nahm eine Akte heraus und reichte mir schließlich ein Blatt Papier, auf dem Namen und Adressen notiert waren. „Ich kenne alle drei Häuser und kann garantieren, dass man sich sehr gut um Mrs. Hoffman kümmern würde.“
„Danke“, sagte ich mit zitternder Stimme und stand auf. Meine Augen begannen zu tränen. Ich war mir nicht sicher, ob es an dem Licht lag oder an meinen verwirrenden Gefühlen. Wahrscheinlich an beidem.
Ich wusste, dass ich so schnell wie möglich nach Hause musste. Normalerweise telefoniere ich nicht mit dem Handy, während ich fahre, aber dies war ein Notfall. Wenigstens fühlte es sich wie ein Notfall an. Deshalb rief ich meinen Ehemann an, der gerade Feierabend machte.
„Hi, Süße“, sagte er. „Wo bist du?“
„Ich fahre. Vermutlich sollte ich das nicht tun“, sagte ich. Ich konnte kaum mehr klar denken und handeln, denn inzwischen war der Schmerz so stark, dass ich glaubte, mein Kopf würde zerspringen. „Hör zu, ich bin auf dem Weg nach Hause. Und ich habe einen Migräneanfall.“
„Deine Medikamente sind zu Hause?“
„Ja.“ Früher hatte ich die Tabletten immer bei mir, doch nach all den Monaten, in denen nichts passiert ist, war ich ein bisschen nachlässig geworden. „Es wird mir sofort besser gehen, wenn ich erst einmal zu Hause bin“, sagte ich. „Ich hätte die Schwester um ein Schmerzmittel bitten sollen, aber ich habe nicht daran gedacht.“
„Wo bist du denn genau?“
„Ich brauche noch fünf Minuten bis nach Hause.“ Das stimmte, wenn es gut lief – doch im Moment war Rushhour und der stockende Verkehr würde mich Zeit kosten.
„Was kann ich tun?“
„Ruf Margaret an“, erwiderte ich. „Bitte sie, den Laden abzuschließen. Sie weiß, was zu tun ist.“
„Okay. Sonst noch etwas?“ Die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Ich schluckte ein Schluchzen hinunter. Als ich sprach, klang meine Stimme heiser. „Es geht um Mom, Brad. Ihr geht es nicht gut.“
„Ich werde so schnell wie möglich nach Hause kommen.“
„Danke.“ Dann schaltete ich das Handy aus und bog vom Freeway ab.
Als ich schließlich in die Garage fuhr, raubte mir der Schmerz bereits den Atem und drohte mich zu übermannen.
Ich stolperte den Flur entlang bis ins Badezimmer, wo wir die Medikamente aufbewahrten. Das Licht schaltete ich nicht an. Schließlich fand ich – mehr durch Zufall – im Schränkchen die Dose mit den Tabletten, riss den Deckel ab und schluckte die Pille ohne Wasser.
Mit geschlossenen Augen stützte ich mich mit der Hand gegen die Wand und schleppte mich ins Schlafzimmer. Zuerst zog ich die Vorhänge zu. Als das Zimmer komplett dunkel war, streifte ich meine Kleider ab und kletterte ins Bett. Bald würden die Medikamente zu wirken beginnen, und der Schmerz würde nachlassen. Tränen quollen aus meinen Augen und rannen mir die Wangen hinunter.
„Mom“, schluchzte ich. „Oh, Mom.“
Sie war nicht da, um mich zu trösten – und sie würde es nie mehr sein.
Und auch ich konnte ihr nicht helfen.
Das Tragische an der Krankheit war, dass sie die Persönlichkeit meiner Mutter nach und nach stahl und zerstörte. Irgendwann würde sie komplett auf Margaret und mich angewiesen sein, wenn es darum ging, Entscheidungen für sie zu treffen. So wie ihre geistigen Fähigkeiten immer mehr schwanden, würden wir immer mehr die Verantwortung für ihre Betreuung übernehmen. Am schmerzhaftesten würde wahrscheinlich ihr wachsendes Unvermögen sein, sich an ihr eigenes Leben zu erinnern. Meine Schwester und ich würden ihre Erinnerungen an ihrer statt bewahren müssen
– für sie und für uns selbst.
Margaret hatte gesagt, wie sehr unsere Mutter ihr fehlte. Und mir war bewusst geworden, dass wir sie Stück für Stück, von Tag zu Tag ein bisschen mehr vermissen würden.
22. KAPITEL
Alix Townsen d
Als sie Colette im Go Figur e traf, war Alix augenblicklich klar, dass ihre Freundin sich über irgendetwas Sorgen machte. Und Alix selbst ging es nicht anders. Die beiden Frauen beendeten ihr Training und begaben sich anschließend auf einen
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