Die Farben der Sehnsucht
Rundstricknadeln Socken zu stricken, und jeden Donnerstagmorgen bot ich einen Workshop an, wo jeder, der ein Problem mit seinem derzeitigen Strickprojekt hatte, mir Fragen stellen konnte. Der Kurs, in dem für einen guten Zweck gestrickt wurde, fand wie gehabt jeden Freitagnachmittag statt.
Mit leerem Blick sah Mom mich an. „Vielleicht ein andermal“, murmelte sie. „Ich wusste gar nicht, dass du Unterricht gibst.“ Sie lächelte mich voller Stolz an.
Ich startete einen neuen Versuch. „Du erinnerst dich doch an Alix Townsend, nicht wahr?“
Mom runzelte die Stirn.
Ich konnte nicht glauben, dass sie Alix vergessen hatte. „Sie war in meinem allerersten Kurs.“ Mom hatte sie in den vergangenen drei Jahren oft getroffen.
„Oh ja, ja, die junge Frau mit dem Baby.“
Ich korrigierte sie nicht. „Alix nimmt an meinem Gebetsschal-Kurs teil. Sie hofft, dass das Stricken sie von dem Wirbel um ihre Hochzeit ablenkt.“
Moms Miene hellte sich auf. „Alix heiratet. Das ist eine wundervolle Neuigkeit.“
Ich schluckte schwer und musste einsehen, dass Mom sich nicht an Alix erinnern konnte. Es machte mir Angst. Ich wusste nicht, wann sie geistig so stark abgebaut hatte. Das hätte mir schon längst auffallen müssen. Und ich fragte mich, ob sie sich mittlerweile eine besondere Taktik zurechtgelegt hatte, um ihre Umwelt nicht spüren zu lassen, was sie verstand und was nicht.
„Es wird eine hinreißende Hochzeitsfeier werden“, fuhr ich mit heiterer Stimme fort. „Brad und ich sind eingela den.“
Mom runzelte wieder die Stirn.
„Du erinnerst dich doch an Brad, oder?“
Mom nickte. Doch ich wusste, dass sie es nicht tat. Ein quälendes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Ich war in der letzten Zeit so sehr mit Margarets und meinem eigenen Leben beschäftigt gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie sehr Moms Zustand sich verschlechtert hatte.
„Weißt du, nach wem ich suche?“, fragte Mom und drehte sich um, während sie sprach.
Auch ich wandte mich um, denn ich nahm an, dass sie etwas verlegt hatte und ich es für sie finden sollte.
„Spunky“, sagte Mom. „Ich habe ihn den ganzen Tag lang noch nicht zu Gesicht bekommen.“
Das schockte mich. Spunky war unser Familienhund gewesen, als ich ein Kind war – ein stolzer kleiner Terrier, der meine Mutter vergöttert hatte. Er war vor Jahren gestorben.
Ich wollte meiner Mutter nicht sagen müssen, dass ihr geliebter Hund tot war – auch wenn es vor Jahrzehnten geschehen war. „Ich bin mir sicher, dass er bald wieder auftauchen wird“, sagte ich also.
„Ich habe Angst, dass er sich verlaufen hat und nicht wieder nach Hause findet“, entgegnete sie besorgt.
Wir hatten einen umzäunten Garten gehabt, und Spunky war niemals ausgebüxt oder davongelaufen. Aber ich musste Mom etwas sagen, das sie beruhigte, damit sie ihren inneren Frieden wiederfand. „Warte es ab. Er ist noch nie weit weggelaufen.“
„Ich weiß. Er ist ein guter Hund.“ Mom lächelte. „Hast du seine Maus irgendwo gesehen?“
„Spunky hatte eine Maus?“ Ich erinnerte mich nicht an ein solches Spielzeug.
„Es ist ein kleines Plüschtier“, erklärte sie und blickte suchend auf den Boden.
Dann fiel es mir wieder ein. Ich erinnerte mich an die Maus, die gar keine Maus war, sondern ein kleiner Plüsch pudel, den Spunky von Zimmer zu Zimmer schleppte und fast immer bei sich hatte. Die Tatsache, dass meine Mutter so eine Kleinigkeit noch wusste, aber sich nicht mehr an meinen Mann erinnerte, erstaunte mich.
„Ich habe keine Ahnung, wo er ist.“
Spunky starb zu der Zeit, als bei mir zum ersten Mal Krebs diagnostiziert wurde. Damals war ich sechzehn. Margaret hatte sofort einen neuen Hund haben wollen. Doch Dad sagte Nein – aber nicht, weil er kein Haustier mehr haben wollte. Er brauchte damals einfach seine gesamte Kraft, um sich um mich zu kümmern. Meine Schwester wusste das und sah darin noch einen weiteren Grund, mich nicht zu mögen. Allmählich hatte sie einen ganzen Berg an Gründen angehäuft – und er war unaufhörlich weiter angewachsen.
„Kann ich dir noch etwas holen, bevor ich gehe?“, fragte ich Mom. Augenblicklich wusste ich, dass sie mich nicht gehen lassen wollte.
„Du bist doch gerade erst angekommen“, entgegnete sie vorwurfsvoll.
Ich war bereits seit über einer Stunde bei ihr. „Tut mir leid, ich muss zurück ins Geschäft und anschließend nach Hause zu Brad und Cody“, sagte ich so behutsam wie möglich. Ihr leerer Blick
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