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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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Cyril und machte mich auf, den Stiefel zurückzubringen.
    Ich hatte keine Ahnung, welches Mrs. Merings Zimmertür war und keine Möglichkeit zu erkennen, wo ein Schuh fehlte, geblendet wie ich war, als ich aus meinem Zimmer trat. Und keine Zeit, meine Augen an die Finsternis zu gewöhnen. Und kein Verlangen, von Mrs. Mering erwischt zu werden, während ich auf allen vieren den Korridor entlangkroch.
    Ich ging ins Zimmer zurück, holte die Lampe und leuchtete damit den Korridor aus, bis ich eine Zimmertür sah, vor der nur ein Stiefel stand. Die zweite ganz hinten. Und dazwischen stand die Laokoonstatue, Darwin und ein Pappmache-Tisch mit einem großen Farn darauf.
    Ich duckte mich ins Zimmer zurück und stellte die Lampe wieder an ihren Platz. Dann nahm ich den Stiefel und öffnete wieder die Tür.
    »… und ich sage dir, da war ein Licht«, sagte eine Stimme, die nur zu Mrs. Mering gehören konnte. »Ein gespenstisches, schwebendes, ätherisches Licht. Ein Geisterlicht, Mesiel! Steh auf!«
    Ich schloß die Tür, blies die Lampe aus und kroch zum Bett. Cyril lag darin, bequem zwischen die Kissen gebettet. »Das ist alles deine Schuld«, flüsterte ich. Dann merkte ich, daß ich immer noch Mrs. Merings Schuh in der Hand hielt.
    Ich stopfte ihn unter die Decke, entschied dann aber, daß das wirklich belastend wirken würde, wollte ihn gerade unters Bett schieben, aber dann fiel mir etwas Besseres ein, und ich steckte ihn zwischen die Sprungfedern und die Federmatratze. Im Dunkeln sitzend versuchte ich herauszufinden, was vor sich ging. Cyrils Schnarchen übertönte alle anderen Geräusche, und ich hörte keine Türen gehen und sah auch kein Licht unter meiner Türritze.
    Ich wartete noch ein paar Minuten, zog dann meine Stiefel aus und schlich auf Zehenspitzen zur Tür, um sie einen Spalt zu öffnen. Dunkelheit und Stille. Ich tappte zum Bett zurück, wobei ich mir den großen Zeh am Spiegel anstieß und mein Schienbein am Nachttisch, zündete die Lampe wieder an und machte mich bereit, ins Bett zu gehen.
    Die letzten Minuten schienen das letzte, was mir noch an Kraft verblieben war, aufgebraucht zu haben, aber trotzdem zog ich mich langsam und sorgfältig aus, prägte mir ein, wie Kragen und Hosenträger befestigt waren und betrachtete die Krawatte, während ich sie auszog, im Spiegel, so daß ich sie am nächsten Morgen mehr oder weniger genauso gut wieder binden konnte. Nicht, daß das noch nötig sein würde. Ich würde mir sowieso beim Rasieren die Kehle durchschneiden. Oder vorher als Dieb und Fußfetischist entlarvt werden.
    Ich zog meine immer noch feuchten Socken aus, legte sie auf den Nachttisch und stieg ins Bett. Die Sprungfedern gaben nach, die mit Federn gefüllte Matratze sackte ein, die Laken waren kalt, und Cyril hatte sämtliche Decken. Es war ein herrliches Gefühl.
    Schlaf, Mutter Naturs sanfte Heilerin, honigsüßer Tau heiliger Ruhe, Linderer alles Leidens, süßer, gesegneter entwirrender Schlaf.
    Es klopfte an der Tür.
    Mrs. Mering, dachte ich, die nach ihrem Stiefel sucht. Oder Geister. Oder der Colonel, den sie aus dem Bett hochgescheucht hat.
    Aber unter der Türritze schimmerte kein Licht, und das Klopfen, das sich wiederholte, war zu leise. Terence, dachte ich, der Cyril holen will, jetzt, nachdem die ganze Arbeit getan ist.
    Für den Fall, daß er es doch nicht war, entzündete ich die Lampe, zog den Morgenmantel an und warf die Überdecke über Cyril. Dann ging ich zur Tür und öffnete sie. Verity stand davor. Im Nachthemd.
    »Was machen Sie hier?« flüsterte ich. »Wir sind im victorianischen Zeitalter.«
    »Weiß ich«, flüsterte sie zurück und drückte sich an mir vorbei ins Zimmer. »Aber ich muß unbedingt mit Ihnen sprechen, bevor ich Dunworthy morgen Bericht erstatte.«
    »Und wenn jemand hereinkommt?« Ich schaute auf ihr weißes Nachthemd. Es war schicklich, mit langen Ärmeln und hochgeschlossenem Kragen, der hinten geknöpft war, aber ich nahm nicht an, daß Terence das überzeugen würde. Oder den Butler. Oder Mrs. Mering.
    »Es kommt keiner herein«, erwiderte Verity und setzte sich aufs Bett. »Alle sind zu Bett gegangen. Und die Wände in diesen alten Häusern sind zu dick, als daß uns jemand hören könnte.«
    »Terence war bereits da«, sagte ich. »Und Baine auch.«
    »Was wollte der denn?«
    »Mir sagen, daß er das Gepäck nicht hatte retten können. Und Terence wollte, daß ich Cyril aus dem Pferdestall herausschmuggle.«
    Bei der Erwähnung seines Namens schob

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