Die Farben der Zeit
Chattisbourne.
»Ja«, erwiderte ich. »In Oxford. Am Balliol.«
»Sind Sie verheiratet?« fragte Eglantine.
»Eglantine!« tadelte Iris. »Es schickt sich nicht, Leute zu fragen, ob sie verheiratet sind.«
»Du hast Tossie auch gefragt, ob er verheiratet ist«, sagte Eglantine. »Ich hab’ dich flüstern hören.«
»Husch«, sagte Iris und lief, der Situation angemessen genug, leicht rot an (Kichern).
»Aus welcher Gegend Englands kommen Sie, Mr. Henry?« fragte Mrs. Chattisbourne.
Es war Zeit, das Thema zu wechseln. »Ich wollte Ihnen noch danken, daß Sie mir die Sachen Ihres Sohnes ausgeliehen haben«, sagte ich, an dem Likör nippend. Er schmeckte besser als die Aalpastete. »Ist er hier?«
»Oh, nein«, entgegnete Mrs. Chattisbourne. »Haben die Merings Ihnen das nicht erzählt? Elliott ist in Südafrika.«
»Er ist Bergwerksingenieur«, warf Tossie ein.
»Gerade haben wir einen Brief von ihm bekommen«, sagte Mrs. Chattisbourne. »Wo ist er, Pansy?«
Mit viel Gekicher erhoben sich die Mädchen, um ihn zu suchen.
»Hier ist er, Madam«, sagte Finch und gab Mrs. Chattisbourne den Brief.
»Liebe Eltern, liebe Blumensträuße«, las sie. »Hier ist endlich der ausführliche Brief, den ich euch versprochen habe.« Es wurde klar, daß sie beabsichtigte, das gesamte Machwerk vorzulesen.
»Sie müssen Ihren Sohn sehr vermissen«, sagte ich in dem Versuch, sie davon abzuhalten. »Wird er bald nach Hause kommen?«
»Nicht bevor die zwei Jahre um sind, für die er sich verpflichtet hat, also erst in acht Monaten. Würde allerdings eine seiner Schwestern heiraten, käme er natürlich zur Hochzeit heim.« (Kichern)
Erneut stürzte sie sich auf den Brief. Zwei Absätze davon überzeugten mich, daß Elliot genauso kindisch war wie seine Schwestern und niemals irgend jemanden geliebt hatte außer sich selbst.
Drei Absätze überzeugten mich davon, daß Tossie sich nicht die Bohne für Elliot interessierte. Sie schaute definitiv gelangweilt drein.
Beim vierten Absatz begann ich mich zu fragen, wie Elliot dem Schicksal entgangen war, Rhododendron oder Beifuß getauft zu werden. Ich betrachtete die Katze der Chattisbournes.
Sie ruhte auf einem mit Veilchen bemalten Fußschemel und war so riesig, daß man nur noch ein paar Veilchen an den Kanten des Schemels sehen konnte. Sie war gelb, mit noch gelberen Streifen und noch gelberen als gelben Augen und erwiderte meinen Blick so schläfrig verhangen, wie ich mich langsam selbst zu fühlen begann, bei all dem Likör und Elliot Chattisbournes Prosa. Ich sehnte mich danach, wieder in Muchings End zu sein. Oder in einer Hängematte.
»Was wirst du beim Fest tragen, Rose?« fragte Tossie, als Mrs. Chattisbourne innehielt, um zur dritten Seite des Briefes umzublättern.
Rose kicherte und sagte: »Mein blaues Voilekleid mit dem Spitzeneinsatz.«
»Ich trage mein weißgetupftes Dirndl«, sagte Pansy, und die älteren Mädchen beugten sich vor und begannen miteinander zu schwatzen.
Eglantine ging zum Schemel hinüber, hob die Katze hoch und ließ sie auf meinen Schoß plumpsen. »Das ist unsere Katze, Miss Marmelade.«
»Mrs. Marmelade, Eglantine«, tadelte Mrs. Chattisbourne, und ich fragte mich, ob Katzen genau wie Köchinnen Ehrenwürden zugestanden wurden.
»Und wie geht’s Ihnen, Mrs. Marmelade?« fragte ich und kraulte die Katze unterm Kinn (Kichern).
»Was trägst du beim Fest, Tossie?« fragte Iris.
»Das neue Kleid, das Papa für mich in London hat anfertigen lassen.«
»Oh, wie sieht es aus?«
»Ich habe es in meinem Tagebuch beschrieben«, sagte Tossie.
Damit ein paar geplagte Schriftexperten wochenlang daran herumrätseln dürfen, dachte ich.
»Finch«, sagte Tossie, »geben Sie mir den Korb«, und langte, nachdem Finch dem Wunsch nachgekommen war, unter das bestickte Tuch, um ein in Korduanleder [55] gebundenes Buch herauszuholen, das ein goldenes Schloß hatte.
Soviel also zu Veritys Hoffnung, das Buch lesen zu können, während wir weg waren! Ich überlegte, ob ich es vielleicht auf dem Heimweg aus dem Korb entwenden konnte.
Tossie löste ein schmales Goldkettchen, an dem ein winziger Schlüssel baumelte, von ihrem Handgelenk und schloß das Tagebuch auf. Dann nestelte sie die Kette wieder sorgsam zu.
Vielleicht konnte ich Finch bitten, das Buch für mich zu stehlen. Vielleicht hatte er auch schon selbst daran gedacht, wo doch Mrs. Chattisbourne meinte, er könne Gedanken lesen.
»Weiße resedafarbene Organza«, las Tossie. »Mit einem
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