Die Farben der Zeit
Unterkleid aus lila Seide. Das Oberteil hat ein Spitzenlätzchen, besetzt mit gerüschter Stickereiborte aus eingefärbter Seide in zartesten Schattierungen von Heliotrop, Flieder und Immergrün, mit Einsätzen in Form von Veilchen und Vergißmeinnicht…«
Die Beschreibung des Kleides war noch länger als Elliot Chattisbournes Brief. Ich ging dazu über, Mrs. Marmelade ausgiebig streicheln.
Sie war nicht nur enorm groß, sondern auch extrem fett. Ihr Bauch war riesig und fühlte sich seltsam klumpig an. Ich hoffte, daß sie nicht krank war. Hatte es vielleicht im victorianischen Zeitalter bereits eine frühe Form der Staupe gegeben, die Anfang des 21. Jahrhunderts alle Katzen ausrottete?
»… und eine plissierte rosa Schärpe mit einer Rosette an der Seite«, las Tossie. »Der Rock ist seitwärts gerafft und mit einer Borte der gleichen Blumen bestickt. Die Ärmel sind angekraust und haben an Ellbogen und Schultern Rüschen. Veilchenblaue Bänder…«
Ich befühlte vorsichtig Mrs. Marmelades Unterseite, während ich sie kraulte. Mehrere Tumore. Falls es dieser Leptovirus war, mußte es jedoch ein frühes Stadium sein. Mrs. Marmelades Fell war weich und glänzend, und sie schien sich äußerst behaglich zu fühlen. Sie schnurrte unentwegt und grub ihre Krallen selig in mein Hosenbein.
Offenbar litt ich immer noch an dem Symptom Verzögertes Denken. Sie scheint überhaupt nicht krank zu sein, überlegte ich, obwohl sie aussieht, als würde sie umgehend explodieren…
»Großer Gott«, sagte ich. »Diese Katze ist ja schwan…« Ein scharfer Gegenstand traf mich im Genick. Ich verschluckte den Rest des Satzes.
Hinter mir sagte Finch: »Entschuldigen Sie, Madam, da ist ein Gentleman, der Mr. Henry sprechen möchte.«
»Mich? Aber wie…?« Wieder traf mich etwas im Genick.
»Entschuldigen Sie mich bitte, meine Damen.« Ich erhob mich mit einer Art Verbeugung und folgte Finch zur Tür.
»Mr. Henry hat zwei Jahre in Amerika gelebt«, sagte Tossie, gerade als ich das Zimmer verließ.
»Aha«, sagte Mrs. Chattisbourne.
Finch führte mich den Korridor hinunter zur Bibliothek. Dort zog er die Tür hinter uns zu.
»Ich weiß, ich soll nicht in der Gegenwart von Damen fluchen«, sagte ich und rieb mir das Genick. »Deshalb müssen Sie mich doch nicht schlagen.«
»Ich habe Sie nicht wegen des Fluchens geschlagen, Sir«, sagte Finch, »obwohl Sie damit recht haben. Sie hätten es in guter Gesellschaft nicht tun dürfen.«
»Was haben Sie dazu benutzt?« Ich befühlte vorsichtig meinen Nacken. »Einen Totschläger?«
»Einen Präsentierteller, Sir«, erwiderte Finch und zog ein mörderisch aussehendes Silbertablett aus seiner Tasche. »Ich hatte keine andere Wahl, Sir. Ich mußte Sie zurückhalten.«
»Wovor?« fragte ich. »Und was machen Sie hier überhaupt hier?«
»Dunworthy hat mich geschickt.«
»Weshalb? Um Verity und mir zu helfen?«
»Nein, Sir«, sagte Finch.
»Und warum sonst?«
Sein Blick wich mir aus. »Das ist mir nicht erlaubt zu sagen, Sir, außer daß ich hier mit einem…« – er suchte nach dem richtigen Wort, »hier mit einem verwandten Projekt zu tun habe. Ich bin auf einer anderen Zeitschiene als Sie und habe deshalb Zugang zu Informationen, die Sie bis jetzt noch nicht entdeckt haben. Wenn ich sie Ihnen sagen würde, könnte das mit Ihrem Auftrag kollidieren, Sir.«
»Und mich ins Genick zu schlagen nicht?« fragte ich. »Ich glaube, Sie haben mir einen Wirbel gebrochen.«
»Ich mußte Sie davon abhalten, Sir, weiter über den Zustand der Katze zu referieren«, sagte Finch. »Im victorianischen Zeitalter ist es absolut tabu, in einer gemischten Gesellschaft über Sex zu sprechen. Es ist nicht Ihre Schuld, daß Sie das nicht wissen. Sie wurden nicht richtig vorbereitet. Ich sagte Dunworthy, daß es keine gute Idee ist, Sie in Ihrem Zustand und ohne Training loszuschicken, aber er war geradezu darauf versessen, daß Sie derjenige sein sollten, der Prinzessin Arjumand zurückbringt.«
»Wirklich?« Ich war erstaunt. »Und weshalb?«
»Das darf ich nicht sagen, Sir.«
»Außerdem wollte ich überhaupt nichts über Sex sagen«, wandte ich ein. »Ich wollte bloß sagen, daß die Katze schwan…«
»Oder irgend etwas, das aus einer sexuellen Handlung resultiert oder damit in irgendeiner Form verknüpft ist.« Er senkte die Stimme und beugte sich zu mir vor. »Mädchen werden von diesen Tatsachen des Lebens vollständig ferngehalten, bis zu ihrer Hochzeitsnacht, wo einige von ihnen,
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