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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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selbst wenn das stimmen sollte, warum hat man ihn dann zu Mrs. Chattisbourne geschickt und nicht hierher?«
    »Vielleicht hofft man, daß Mrs. Mering ihn den Chattisbournes wegstiehlt.«
    »Sie haben zu viele Sprünge hinter sich. Wir reden morgen früh weiter«, sagte ich, schaute auf den stockfinsteren Korridor und schlüpfte aus dem Zimmer.
    Verity schloß geräuschlos die Tür hinter mir, und ich machte mich auf den Rückweg. Erst der Schirmständer…
    »Mesiel!« schrie Mrs. Mering. Das Licht im Korridor ging an. »Ich wußte es!« Eine Kerosinlampe in der Hand, kam sie auf mich zu.
    Der Treppenabsatz war zu weit weg, um ins untere Stockwerk zu flüchten, außerdem kam Baine gerade mit einer Kerze die Treppe hoch. Mir blieb nicht einmal Zeit, mich von Veritys Tür zu entfernen. So hatte sich Dunworthy die Schadensbegrenzung wohl kaum vorgestellt.
    Ich überlegte, ob ich mich mit der Behauptung, ich wollte unten ein Buch holen, aus der Affäre ziehen konnte. Aber ohne Kerze? Und wo hatte ich dieses Buch jetzt? Oder könnte ich mich für einen Schlafwandler ausgeben, wie der Held in Der Mondstein von Wilkie Collins?
    »Ich war…« begann ich, aber Mrs. Mering schnitt mir das Wort ab.
    »Ich wußte es!« rief sie. »Sie haben es auch gehört, Mr. Henry, nicht wahr?«
    Tossies Tür öffnete sich, und Tossie streckte den mit Lockenwickler geschmückten Kopf heraus. »Mama, was ist?«
    »Ein Geist!« sagte Mrs. Mering. »Mr. Henry hörte ihn auch, stimmt’s?«
    »Ja«, erwiderte ich. »Ich wollte gerade nachsehen. Ich dachte, es wäre ein Einbrecher, fand aber niemanden.«
    »Haben Sie es auch gehört, Baine?« wollte Mrs. Mering wissen. »Ein klopfendes Geräusch, ganz leise, und dann so ein komisches Flüstern?«
    »Nein, Madam«, sagte Baine. »Ich war im Frühstückszimmer und kümmerte mich um das Besteck.«
    »Aber Sie haben es gehört, Mr. Henry«, sagte Mrs. Mering. »Ich weiß, Sie hörten es. Sie waren weiß wie ein Bettlaken, als ich auf den Flur kam. Ein klopfendes Geräusch, dann Flüstern und dann ein…«
    »… ein unkörperliches Stöhnen«, sagte ich.
    »Genau! Wahrscheinlich gibt es hier mehr als einen Geist, und sie unterhalten sich miteinander. Haben Sie irgend etwas gesehen, Mr. Henry?«
    »Ein weißes Schimmern«, sagte ich, für den Fall, daß sie Verity gesehen hatte, wie diese die Tür schloß. »Aber nur für einen Augenblick, dann war es verschwunden.«
    »Oh!« Mrs. Mering war atemlos. »Mesiel! Komm schnell! Mr. Henry hat einen Geist gesehen!«
    Colonel Mering antwortete nicht, und während des Moments Ruhe, der eintrat, bevor sie wieder nach ihm rief, hörte man ganz leise Cyril von meinem Zimmer her schnarchen. Ich war noch nicht ganz aus dem Schneider.
    »Dort!« Ich zeigte auf die Wand mit Lady Schrapnells Porträt. »Haben Sie das gehört?«
    »Ja!« Mrs. Mering krampfte die Hände vor ihrem Busen zusammen. »Wie klang es doch gleich?«
    »Wie Glockengeläute«, improvisierte ich aus dem Stegreif. »Und dann eine Art Schluchzen…«
    »Genau«, erwiderte Mrs. Mering. »Der Dachboden. Baine, öffnen Sie die Luke zum Dachboden. Wir müssen hinauf.«
    An diesem Punkt erschien endlich Verity, den Morgenrock um sich geschlungen und verschlafen blinzelnd. »Was ist, Tante Malvinia?«
    »Der Geist, den ich vor zwei Nächten am Gartenpavillon sah«, entgegnete Mrs. Mering. »Er ist auf dem Dachboden.«
    Cyril stieß ein mächtiges schnüffelndes Schnauben aus, das eindeutig aus der Richtung meines Zimmers kam. Sofort schaute Verity zur Decke hoch.
    »Ich höre sie!« sagte sie. »Geisterhafte Schritte über meinem Kopf!«
    Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir auf dem Dachboden, in Spinnweben verwickelt, auf der Suche nach entfliehenden weißen Schimmern. Mrs. Mering fand keine, aber sie entdeckte ein rubinrotes Kompottglas, eine Lithografie von Der König des Glen von Landseer und ein mottenzerfressenes Tigerfell für den Basar.
    Sie bestand darauf, daß Baine die Sachen auf der Stelle ins Untergeschoß schaffte. »Erstaunlich«, sagte sie. »Einfach erstaunlich, welche Schätze man auf Dachböden findet«, sagte sie entzückt. »Nicht wahr, Mr. Henry?«
    »Mmh«, erwiderte ich gähnend.
    »Ich fürchte, der Geist hat sich zurückgezogen«, sagte Baine, der gerade die Dachbodentreppe hochkam. »Unsere Anwesenheit hier wird ihn nur noch weiter verstören.«
    »Sie haben vollkommen recht, Baine«, stimmte Mrs. Mering zu, und so stand unserer Nachtruhe endlich nichts mehr Wege.
    Als

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