Die Farben der Zeit
auch. Füttert sie sogar bei Tisch mit Essen.« Die beiden trabten davon.
»Steigen Sie ein, Mr. St. Trewes«, bat Mrs. Mering. »Sonst verpassen wir Ihretwegen noch den Zug. Baine, haben Sie mein Lorgnon eingepackt?«
Um halb elf brachen wir endlich zum Bahnhof auf. »Denken Sie dran«, sagte Verity, als ich ihr in die Kutsche half, »in Tossies Tagebuch stand nur ›während des Ausflugs nach Coventry‹. Wann genau, erwähnte sie nicht. Mr. C kann also auch jemand im Zug oder auf dem Bahnsteig sein.«
Wir erreichten den Bahnhof um elf Uhr neun. Der Zug war gerade abgefahren, was insofern kein Problem war, da wir sowieso fast zehn Minuten brauchten, um alles und jeden aus der Kutsche auszuladen. Als wir auf dem Bahnsteig ankamen, lag er verlassen.
»Ich verstehe überhaupt nicht, warum der Zug nicht auf uns warten konnte!« sagte Mrs. Mering. »Ein paar Minuten früher oder später macht doch keinen Unterschied! Wie rücksichtslos!«
»Ich weiß, es wird regnen, und der Regen wird mein neues Kleid ruinieren«, jammerte Tossie mit einem Blick zum Himmel. »Oh, Terence, ich hoffe nur, es regnet nicht an unserem Hochzeitstag.«
»›Oh, festlicher Tag, so klar, so schön‹«, zitierte Terence pflichtbewußt, doch irgendwie abwesend und schaute in Richtung Muching Ends. »Hoffentlich bringt Professor Peddick Cyril ins Haus, wenn es zu regnen beginnt.«
»Ich hoffe, sie kommen nicht auf die Idee, bei diesem Wetter angeln zu gehen«, sagte Mrs. Mering. »Wo doch Mesiel so empfindlich auf der Brust ist. Im Frühjahr holte er sich eine fürchterliche Erkältung und lag zwei Wochen lang mit einem schrecklichen Husten im Bett! Der Arzt sagte, es war ein Wunder, daß er keine Lungenentzündung bekam. Mr. Henry, schauen Sie doch mal, ob Sie schon etwas von dem Zug sehen.«
Ich ging zum entfernten Ende des Bahnsteigs. Als ich zurückkam, hatte sich Verity etwas abseits von den anderen gestellt. »Ich denke gerade über des Bischofs Vogeltränke nach«, sagte sie. »In Der Mondstein wurde der Edelstein von jemandem entwendet, der gar nicht wußte, daß er der Dieb war. Er schlafwandelte und steckte den Stein irgendwo hinein, und dort stahl ihn eine andere Person. Was, wenn die Person, die des Bischofs Vogeltränke…«
»Schlafwandelte? In der Kathedrale von Coventry?«
»Nein. Nicht wußte, daß sie ein Verbrechen beging.«
»Wie oft genau sind Sie in der letzten Woche gesprungen?« fragte ich.
Baine erschien, einen Gepäckträger im Schlepptau, der mindestens achtzig Jahre alt war, und fing zusammen mit ihm und dem Stallburschen an, unser Gepäck an den Bahnsteigrand zu schaffen. Verity schaute nachdenklich auf den Gepäckträger.
»Vergessen Sie’s«, sagte ich. »Sie war über fünfzig Jahre mit ihm verheiratet. Dazu müßte der da ja einhundertzwanzig Jahre alt werden.«
»Sehen Sie schon etwas vom Zug, Mr. Henry?« fragte Mrs. Mering.
»Ich fürchte, nein.« Ich ging zu ihr.
»Wo bleibt er denn?« fragte sie. »Ich hoffe, es ist kein schlechtes Omen, daß wir so spät dran sind. Mr. Henry, sind die Kutschen schon fortgefahren?«
»Wir müssen heute nach Coventry«, mischte sich Verity ein. »Was würde Madame Iritosky von uns denken, wenn wir die Botschaft der Geister ignorieren?«
»Wo sie doch selbst mitten in der Nacht aufbrach, nur um einer Botschaft zu gehorchen, die sie erhalten hatte«, sagte ich und wünschte, der verdammte Zug würde endlich kommen. »Und ich bin ganz sicher, daß das Wetter prima sein wird, wenn wir Coventry erreicht haben.«
»Und es gibt so viele hübsche Sachen dort«, sagte Verity, aber offenbar fiel ihr keine davon ein.
»Blaue Farbe«, sagte ich. »Coventry ist berühmt für seine blaue Farbe. Und Bänder.«
»Ich könnte welche für meine Aussteuer kaufen«, meinte Tossie.
»Professor Peddick ist manchmal so geistesabwesend«, sagte Terence nachdenklich. »Hoffentlich wandert er nicht einfach davon und läßt Cyril zurück. Was meinst du?«
»Ich meine, azurblaue Bänder paßten ganz gut zu meinem Ausgehhut«, sagte Tossie. »Oder babyblau. Was meinst du, Mama?«
»Warum können diese Züge nicht zu der Zeit kommen, die auf dem Fahrplan steht, statt uns hier stundenlang warten zu lassen«, nörgelte Mrs. Mering.
Und so weiter und so fort. Der Zug donnerte pünktlich um elf Uhr zweiunddreißig mit einem beeindruckenden Dampfstoß in den Bahnhof ein, und Verity drückte und schob jeden von uns rasch hinein, wobei sie ein wachsames Auge auf alle hatte, die Mr. C
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