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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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sagte Mrs. Mering. »Ihre Ruhe ist offenbar gestört worden.«
    Der feine Nebel wurde zum Nieseln, was Tossie zu einem Schreichen veranlaßte. »Mein Reisekleid!«
    Baine erschien wieder und spannte Schirme auf. »Ich habe eine geschlossene Kutsche bestellt, Madam«, sagte er zu Mrs. Mering und reichte mir und Terence die Schirme, damit wir sie über die Damen hielten.
    Jane wurde mit dem Picknickkorb, den Decken und Schals in eine Mietdroschke verfrachtet. Sie sollte uns an der Kirche treffen. Wir kutschierten in die Innenstadt. Die Pferdehufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster der engen Gassen, deren alte Fachwerkhäuser sich über die Straße beugten. Ein Gasthof im Tudorstil mit einem im Wind schaukelnden bemalten Wirtshausschild, kleine Backsteinläden, die Bänder und Fahrräder verkauften, noch schmalere Häuser mit Sprossenfenstern und hohen Schornsteinen. Das alte Coventry. All das würde in der Novembernacht 1940 in Schutt und Asche versinken, mitsamt der Kathedrale, aber man konnte es sich nur schwer vorstellen, wenn man die dampfenden, nassen Straßen entlangkutschierte.
    Der Kutscher zügelte die Pferde an der Ecke St. Mary’s Street, der Straße, die Probst Howard und seine kleine Gruppe mit Kerzenleuchter und Kreuzen und der Regimentsfahne, die sie aus der brennenden Kathedrale gerettet hatten, entlangmarschiert war.
    »Kunnetwiter wengde wesch’is sporrn«, sagte der Kutscher in einem unverständlichen Dialekt.
    »Er sagt, die Straße zur Kirche ist gesperrt«, erklärte Baine. »Er kann nicht weiterfahren.«
    Ich beugte mich vor. »Sagen Sie ihm, er soll zurückfahren bis zur Little Park Street. Dann kommen wir an den Westtüren der Kirche an.«
    Baine tat, wie ich geheißen. Der Fahrer schüttelte den Kopf und sagte etwas abermals Unverständliches, wendete aber die Pferde und kutschierte uns zurück zur Earl Street.
    »Oh, ich spüre die Geister schon«, sagte Mrs. Mering und krampfte ihre Hände an den Busen. »Etwas wird geschehen. Ich weiß es genau.«
    Wir fuhren die Little Park Street zur Kirche hoch. Ich konnte den Turm am Ende der Straße erkennen, und es war kein Wunder, daß wir ihn vom Bahnhof aus nicht hatten erkennen können. Ein hölzernes Gerüst verbarg sein oberes Drittel, und abgesehen davon, daß es grauer Stoff war und kein blaues Plastik, sah er genauso aus, wie ich ihn letzte Woche vom Fußgängereingang beim Mertoncoliege aus gesehen hatte. Lady Schrapnell war authentischer, als sie selbst wußte.
    Der Haufen roter Steine und Sand auf dem Kirchplatz sah auch genauso aus, und ich befürchtete schon, der Zugang zur Kirche sei gänzlich blockiert, aber das stimmte nicht. Der Kutscher konnte die Droschke direkt vor das Westportal fahren. Ein großes, handgeschriebenes Schild prangte auf ihm. »Der Kirchenvorsteher von Iffley muß hier gewesen sein«, sagte ich, und dann erkannte ich, was darauf stand:
    Vom 1. Juni bis 31. Juli
wegen Reparaturarbeiten geschlossen!

»Das Herz ist sein eigenes Verhängnis.«
    Philip James Bailey
     
19. Kapitel
     
     
    Ein schicksalhafter Tag • Noch ein Gespräch mit einem Handwerker • Ich schäme mich nicht, Wohltätigkeitsbasare anzupreisen • Der Geist der Kathedrale • Eine Besichtigung… • Ich versuche, die Namen zweier Handwerker herauszufinden • Des Bischofs Vogeltränke • Tossies Reaktion • Die Hinrichtung Maria Stuarts • Baine läßt sich über ästhetisches Empfinden aus • Tossies Reaktion • Die Schönheiten des Albert Memorial • Die Verbreitung von Blumennamen als Vornamen im victorianischen Zeitalter • Ich versuche, den Namen des Kurators herauszufinden • Ein Streit • Ein plötzlicher Aufbruch
     
     
    »Geschlossen?« rief Tossie.
    »Geschlossen?« Ich schaute zu Verity, aus deren Gesicht alle Farbe gewichen war.
    »Geschlossen«, sagte Mrs. Mering. »Madame Iritosky hatte uns gewarnt.«
    Wie zur Bestätigung ihrer Worte begann es stärker zu nieseln.
    »Es kann unmöglich geschlossen sein«, murmelte Verity mit ungläubigem Blick auf das Schild. »Wie kann das sein?«
    »Baine«, sagte Mrs. Mering. »Wann geht der nächste Zug?«
    Herrgott, laß es Baine nicht wissen, dachte ich. Wenn er es nicht weiß, gewinnen wir wenigstens noch eine Viertelstunde, während er zum Bahnhof zurück muß, um die Abfahrtszeit herauszufinden, eine Viertelstunde, in der wir uns etwas ausdenken können.
    Aber wir hatten es hier mit Baine zu tun, dem offenkundigen Vorläufer von Jeeves, und Jeeves hatte immer alles

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