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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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hätten sein können.
    Baine half Mrs. Mering die Stufen hoch und in unser Abteil und rannte zurück, um den Gepäckträger, der unsere Sachen einlud, zu beaufsichtigen. Jane machte es Mrs. Mering in ihrem Sitz bequem, gab ihr das Lorgnon, ihre Stickerei, suchte ihr Taschentuch und den Schal, knickste dann und kletterte wieder aus dem Zug.
    »Wo geht sie hin?« fragte ich Verity und beobachtete, wie Jane den Bahnsteig entlang zum Ende des Zug rannte.
    »In die zweite Klasse«, erwiderte Verity. »Die Dienstboten reisen nicht im gleichen Abteil wie ihre Arbeitgeber.«
    »Kommen die denn ohne sie aus?«
    »Das müssen sie nicht.« Sie raffte ihre Röcke und erklomm die Stufen.
    Sie mußten es wirklich nicht. Baine erschien, sobald alles im Zug verstaut war, um Mrs. Mering eine Reisedecke zu bringen und zu fragen, ob sie noch etwas wünschte.
    »Ein Kissen«, sagte sie. »Diese Eisenbahnsitze sind dermaßen unbequem.«
    »Sehr wohl, Madam.« Baine verschwand im Galopp. Innerhalb einer Minute kehrte er zurück, zerzaust und außer Atem, mit einem brokatbestickten Kissen.
    »Von Reading aus geht ein Korridorzug, Madam«, japste er. »Dieser hier hat nur Abteile. Ich werde aber bei jedem Aufenthalt zu Ihnen kommen.«
    »Gab es keine direkte Verbindung nach Coventry?« wollte sie wissen.
    »Doch, Madam. Um zehn Uhr siebzehn. Der Zug fährt gleich ab, Madam. Wünschen Sie noch etwas?«
    »Ja, den Baedeker. Und eine Decke, um meine Füße draufzustellen. Diese Böden in den Eisenbahnabteilen sind einfach eine Schande.«
    Da hätte sie erst mal Untergrundbahn fahren sollen! Es ist ein universelles Phänomen, daß Menschen nie ihre eigene Zeit genügend zu schätzen wissen, besonders was das Transportwesen betrifft. Im zwanzigsten Jahrhundert beschwerten sie sich über abgesagte Flüge und die Benzinpreise, im achtzehnten Jahrhundert über morastige Straßen und Wegelagerer. Professor Peddicks Griechen hatten ohne Zweifel über widerspenstige Pferde und abgefallene Wagenräder gejammert.
    Ich fuhr nicht zum ersten Mal mit dem Zug. Erst kürzlich, in den 1940ern war ich damit nach Lucy Hampton gefahren, um nachzusehen, ob sich des Bischofs Vogeltränke bei den Ostfenstern befand, aber diese Züge waren vollgepfropft mit Soldaten gewesen, die Fenster zugehängt mit schwarzen Vorhängen, und das gesamte Intererieur fehlte, weil es abmontiert und zu Munition verarbeitet worden war. Doch selbst wenn es nicht Kriegszeit gewesen wäre, hätten die Züge keinen Vergleich mit diesem hier ausgehalten. Hier waren die mit hohen Rückenlehnen versehenen gepolsterten Sitze mit grünem Samtstoff überzogen und die Wände darüber aus glänzendem Mahagoni, in das Blumenmuster eingelegt waren. Dicke plüschige Vorhänge hingen an den Fenstern, und zu beiden Seiten steckte in einer Halterung eine Gaslampe mit Kupferschirm. Die Gepäckablage, der Handlauf, die Armstützen, die Vorhangringe, alles war aus poliertem Messing.
    Erinnerte wirklich in keiner Weise an die Untergrundbahn. Und gab, als der Zug langsam anfuhr – wobei Baine einen letzten Galopp hinter sich brachte, um den Baedeker und die Decke zu bringen und wieder nach hinten zur zweiten Klasse zu gelangen – und dann schneller und schneller durch die wunderschöne, mit Dunstschleiern verhangene Landschaft dampfte, keinen Grund zur Klage.
    Dachte ich. Mrs. Mering sah das anders. Sie klagte über den Ruß, der durchs Fenster ins Abteil wehte, worauf Terence die Fenster schloß, über die stickige Luft im Abteil, worauf Terence das Fenster wieder öffnete und die Vorhänge zuzog, über den bedeckten Himmel, wie unbequem die Reise und wie hart das Kissen sei, das Baine ihr gebracht hatte.
    Jedesmal, wenn der Zug hielt, anfuhr oder um eine Kurve dampfte, stieß sie einen kleinen Schrei aus und einen großen, als der Schaffner kam und unsere Fahrkarten verlangte. Er war noch älter als der Gepäckträger, was Verity aber nicht davon abhielt, sich vorzubeugen, um das Namensschild an seiner Uniform zu lesen und sich mit sorgenvoller Miene wieder in ihren Sitz zurückfallen zu lassen, nachdem er das Abteil verlassen hatte.
    »Wie hieß er?« fragte ich, als ich ihr in Reading, wo wir umsteigen mußten, aus dem Zug half.
    »Edwards«, sagte sie und schaute sich auf dem Bahnsteig um. »Sehen Sie jemanden, der aussieht, als wolle er Tossie heiraten?«
    »Vielleicht dieser Crippen hier?« sagte ich und deutete mit dem Kopf zu einem bleichen, verkrampft aussehenden jungen Mann, der unentwegt die

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