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Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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unaufhaltsam zur Seite und auf ein paar Weiden und eine Mauer zu.
    »Steuerbord halten«, schrie Terence. »Nach Steuerbord!«
    Ich hatte keine Idee, was Steuerbord bedeutete, zog aber versuchsweise an der Pinne, bis sich das Boot mehr oder weniger gerade richtete, und dann hatten wir die Boote hinter uns gelassen und sahen uns einer großen, wiesenbedeckten Fläche gegenüber.
    Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß ich Christ Church Meadow vor mir hatte, wenn auch nicht so, wie ich es kannte. Keine Baumaschinen, kein Gerüst, keine sich im Wind blähenden Plastikplanen. Keine Kathedrale, die sich aus Bergen roten Sandsteins, Mörtels und Dachschiefern erhob. Keine Arbeiter, die den Robotzimmerleuten Befehle eingaben. Keine Lady Schrapnell, die den Arbeitern Befehle zuschrie. Keine Demonstranten, die gegen die Zerstörung der Landschaft, der Kultur, des Stadtbildes von Oxford und der Zerstörung von Dingen im allgemeinen protestierten.
    Drei Kühe wiederkäuten geruhsam ihr Futter an der Stelle, wo im einundzwanzigsten Jahrhundert der westliche Turm und der Spitzturm standen, von blauem Plastik umhüllt, und auf Lady Schrapnell und den Magistrat von Coventry warteten, daß diese sich über die Glocken einigten.
    Ein Trampelpfad führte an den Kühen vorbei, auf dem in halber Höhe zwei Dekane schlenderten, die den honigfarbenen Mauern von Christ Church College zuwanderten, die Köpfe zusammengesteckt und über Philosophie oder die Gedichte von Xenophon diskutierend.
    Ich fragte mich, wie es Lady Schrapnell geschafft hatte, die Zustimmung der Stadt für ihr Vorhaben zu erlangen. Im neunzehnten Jahrhundert hatte sich Oxford dreißig Jahre lang erfolgreich gegen eine einfache Straße gewehrt, die quer über Christ Church Meadow führen sollte, und später, als die Untergrundbahn nach Oxford kam, war der Aufschrei bei der bloßen Erwähnung des Wortes U-Bahnstation noch viel größer gewesen.
    Doch im einundzwanzigsten Jahrhundert hatte die Physik eine Entwicklungsstufe erreicht, in der man nicht mehr forschen konnte, ohne einen atombetriebenen Feinstruktur-Oszillator dafür zu bauen. Und von den Multis floß kein Geld mehr. Die hatten vor vierzig Jahren bereits das Interesse an Zeitreisen verloren, nachdem sie gemerkt hatten, daß sie die Vergangenheit nicht einfach plündern und mißbrauchen konnten. Also kein Geld für Gebäude und auch keines für Lehrstühle oder Gehälter. Aus, Ende, Schluß. Und Lady Schrapnell war eine außerordentlich willensstarke Frau und außerordentlich reich. Und sie hatte gedroht, sonst das ganze Geld Cambridge zu stiften.
    »Nein, halt!« sagte Terence. »Du steuerst uns ja ans Ufer!«
    Ich zog hastig an den Leinen, und wir glitten zur Flußmitte zurück.
    Vor uns lagen die Bootshäuser der Colleges und der grüne Torbogen des Cherwellfriedhofs, und dahinter sah man den grauen Turm des Magdalen Colleges und die lange Kurve der Themse. Der Himmel über uns war dunstig blau, und am Horizont wanderten kleine Wölkchen vor der Sonne. Nahe der Uferböschung wuchsen Wasserlilien, und das Wasser zwischen ihnen war von einem klaren tiefen Braun, wie die Augen der Wassernymphen von Waterhouse.
    »›Braun ist der Fluß‹«, zitierte ich, »›die Bäume grün zu beider Hand‹«, und hoffte dann, daß es vor 1888 geschrieben worden war.
    »›Fließt dahin ohn’ Ende, und golden glänzt der Sand‹«, [29] erwiderte Terence, also hatte ich Glück gehabt.
    »Bloß daß es nicht stimmt«, fuhr Terence fort. »Nach diesem Teil kommen bis Iffley nur noch Felder. Er fließt auch nicht für immer voran, sondern nur bis London. Das ist das Problem bei Gedichten.Sie stimmen nicht mit der Wirklichkeit überein. Nimm zum Beispiel das Fräulein von Shalott. ›Sie löst die Kette, legt sich nieder; der breite Strom trägt sie davon‹. [30] Sie liegt also im Boot und läßt sich nach Camelot treiben, aber das kann unmöglich passieren. Wie kann man im Liegen ein Boot steuern? Nach einer Meile wäre sie schon im Schilf steckengeblieben. Cyril und ich haben ja schon Schwierigkeiten, das Boot geradeaus zu steuern, und wir liegen nicht auf dem Boden des Bootes, von wo aus man gar nichts mehr sehen kann, stimmt’s?«
    Er hatte recht. Tatsache war, daß wir bereits wieder direkt auf das Ufer zusteuerten, das an dieser Stelle von überhängenden Kastanienbäumen mit dunkelgrünen Blättern bestanden war.
    »Nach Steuerbord«, sagte Terence ungeduldig.
    Ich zog an den Leinen, und das Boot schoß

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