Die Farben des Alls
nicht mehr lange dauern…
Die Lichtintensität nahm zu. Bart hatte so etwas noch nie erlebt. Es war eine Erleichterung für ihn, sich davonzustehlen und die dunklen Kontaktlinsen einzusetzen. Ein kurzer Blick in den Spiegel zeigte ihm, daß sie seine Augen riesig erscheinen ließen, mit scheinbar erweiterten Pupillen. Er hoffte nur, daß keiner der Lhari etwas bemerken würde. Dann kam ihm der kaltblütige Gedanke, daß keiner ihm mehr etwas anhaben konnte, weil sie alle bald sterben würden. Sein Arm schmerzte. Mit Ringg sprach er während der gesamten Bremsphase kein einziges Wort.
Nach der Landung wurden alle Besatzungsmitglieder über Lautsprecher zur Ausstiegsluke beordert. Bart blieb einen Augenblick hinter Ringg zurück, um den Teststreifen an seinem Cape zu befestigen. Wieder drohte ihn ein Anflug von Furcht und ein alptraumhaftes Einsamkeitsgefühl sowie der Ekel vor seiner Lhari-Gestalt zu überwältigen. Er sehnte sich schmerzlich nach seinem eigenen, vertrauten Gesicht. Jetzt hinauszutreten in den Gang voller Lhari, die sich versammelt hatten, um das Denkmal ihrer stolzen Rasse zu besuchen, das war mehr, als er ertragen konnte.
Und doch gelang es ihm durch äußerste Willensanstrengung, sich hinter Ringg in die Reihe zu schieben. Der junge Mann, gut aufgelegt wie stets, murmelte respektlos: »Ich sehe, daß der alte Kahlkopf mit uns hinausmarschieren wird – und auch der Captain!«
Die Luke wurde geöffnet. Trotz der langen Gewöhnungszeit, die er hinter sich hatte, kniff Bart einen Moment lang die Augen zusammen, als sie von dem grellen blau-weißen Licht überflutet wurden. Kurz danach, beim vorsichtigen öffnen seiner schrägen Lider, stellte er jedoch fest, daß er ganz normal sehen konnte.
Eine gespenstisch anmutende, verlassene Landschaft erstreckte sich vor ihnen. Es war nur gleißender Sand zu sehen, durchsetzt mit eigentümlich getönten Gesteinsbrocken, angehäuft in verwirrendem Durcheinander. Zumindest schien es so. Dann bemerkte Bart allerdings, daß sie in einem sonderbaren, jedoch deutlich erkennbaren Muster angeordnet waren; sie zeigten stumpfe und polierte Flächen im Wechsel. Der alte Rugel fing seinen erstaunten Blick auf.
»Noch nie hier gewesen?«
»Nein. Das Raumschiff, auf dem ich angeheuert hatte, kam aus der anderen Ecke.«
»Ach ja, stimmt. Du hast ja auf der Polaris-Linie gearbeitet. Also, das hier sind keine echten Felsbrocken, sondern eine Art lebender Wesen. Die Kristalle leben; ihre stumpfe Seite besteht aus Flechten, die so etwas Ähnliches wie Chlorophyll enthalten und die damit ihre Nahrung aus der Luft und dem Sonnenlicht beziehen können. Sie leben mit den Felsen in Symbiose, und sie sind auch mit einer bestimmten Art von Intelligenz ausgestattet, die sich jedoch glücklicherweise weder gegen uns noch gegen unsere Förderautomaten wendet. Allerdings finden wir jedesmal neue Flechten vor, die mit dem Beton unserer Bunker eine Symbiose eingegangen sind.«
»Und jedesmal«, warf Ringg aufgeräumt ein, »jedesmal muß einer – gewöhnlich ich – das Zeug runterkratzen und den Anstrich erneuern. Vielleicht finde ich eines Tages eine Farbe, deren Geschmack die Flechten nicht mögen!«
»Wirst du mit Ringg auf Entdeckungstour gehen?« fragte Rugel. Ringg, der wie stets dazu tendierte, Vergangenes zu vergessen, erwiderte grinsend: »Na klar!« Bart konnte ihm nicht ins Gesicht sehen.
Denk daran, Bart Steele, daß sich seine Freundlichkeit nicht auf dich bezieht, sondern auf einen Lhari namens Bartol!
Du Judas! Läßt ihn in den Tod gehen!
Vorongil blieb bei ihnen stehen und sagte: »Du bist zum ersten Mal hier, Bartol? Möchtest du mich zum Denkmal begleiten? Die Maschinen kannst du auf dem Rückweg bestaunen.«
Erleichtert, daß er nicht mit Ringg gehen brauchte, gesellte er sich zum Captain und lief neben ihm her. Sie entfernten sich schweigend von der übrigen Besatzung, folgten dem ebenen Pflasterweg.
»Die Kristallwesen haben diese Straße geschaffen«, erklärte ihm Vorongil schließlich. »Ich glaube, sie können ein bißchen Gedanken lesen. Hier war einst eine sehr unwegsame Stein wüste, und wir mußten uns immer sehr mühselig zu dem Mahnmal vorarbeiten. Der Rückweg war dann etwas einfacher. Eines Tages landete ein Raumschiff – nicht das unsrige –, und man fand diese wunderbar ebene Straße vor, die zum Monument führte. Die Flechten lassen den Stein übrigens immer unberührt; aber das hattest du ja alles schon in der Schule.«
Bart
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