Die Farben des Chaos
beiden zurück.
»Kein Fürst ist von irgendetwas wirklich angetan, Niarso.« Der Offizier, der abgestiegen war, wandte sich zur Treppe.
Cerryl wich den Pferden aus und folgte dem Offizier die Treppe hinauf zum Eingang des Palastes. Er hielt die Schilde oben, während er sich zu den kantigen Säulen vor dem Haupteingang vortastete. Drinnen war es kühler und dunkler als draußen. Cerryl schauderte beinahe.
Er konnte eine Gestalt in einer Art Uniform spüren, ein goldener und grüner Umhang über verstärktem Leder. Der Mann marschierte steifbeinig und eilig, als habe er etwas Wichtiges zu erledigen. Achselzuckend folgte Cerryl dem Offizier oder was auch immer er war.
Oben ging es einen weiteren Flur entlang, bis Cerryl sich in eine dunkle Ecke des großen Empfangssaals drücken konnte. Der Offizier näherte sich inzwischen mehreren Menschen, die am anderen Ende des Raumes auf einem Podest standen oder saßen.
An der Seite des Saals, jede Säule als Deckung nutzend, arbeitete Cerryl sich langsam weiter vor.
»Ser?« Der Offizier, den Cerryl verfolgt hatte, verneigte sich vor Ferobar, oder besser vor dem Mann, den Cerryl für Ferobar hielt.
Dieser war ein wenig größer als Cerryl, wie der junge Magier spüren konnte. Der Fürst schwieg, während der Offizier vor ihm Haltung annahm, und ließ ein paar Sekunden verstreichen, ehe er zu sprechen begann. »Ihr habt nicht die Lanzenreiter ausgeschickt, sie zu verfolgen?«
»Die Hälfte der Pferde wurde beim Zusammenbruch des Turms getötet. Es hätte einen halben Tag gedauert, frische Pferde aus Yeanno zu holen. Wir hatten nur noch vier berittene Züge gegenüber zehn Zügen Weißer Lanzenreiter und drei Weißen Magiern.« Der Offizier verneigte sich noch einmal. »Außerdem war es schon spät am Tage.«
Ferobar sah den großen Offizier böse an. »Ihr seid entlassen, Hauptmann. Ich will Euch morgen nicht mehr in Hydolar sehen.«
Sogar von seinem Standort aus konnte Cerryl das Chaos der beinahe unbeherrschbaren Wut des Lanzenoffiziers spüren.
Ferobar starrte durch den Hauptmann hindurch und hob die Stimme. »In der Halle wird es heute Abend kein Abendessen geben, nachdem die Lanzenreiter sich so ehrlos verhalten haben.« Ferobar drehte sich um und stieg auf der anderen Seite vom Podest herunter. Die Entfernung war zu groß, Cerryl hätte ihm nicht folgen können, ohne entdeckt zu werden. So beobachtete er den Fürsten nur mit den Sinnen, so weit es ging. An der Ostseite des Großen Saals gab es offenbar eine zweite, kleinere Treppe.
Langsam leerte sich der Saal, bis nur noch ein einziger Wächter im Bogengang an der Nordseite Wache hielt.
Elle um Elle tastete Cerryl sich weiter bis zur offenen Osttür und betrat den kleineren Raum, der sich dahinter anschloss. Dort konnte er niemanden spüren. Allein in den Schatten stehend, ließ er die Lichtschilde fallen und blickte die Treppe hinauf.
Er atmete tief durch und rieb sich die Stirn, dann zog er die Schilde wieder hoch und suchte sich mit Chaos-Sinnen und seinem Gefühl den Weg zum oberen Stockwerk, bis er einen langen, schmalen Flur erreichte. Ungefähr fünfzig Ellen entfernt waren auf der rechten Seite zwei Wächter postiert, die offenbar die Privatgemächer des Fürsten bewachten.
Zwischen den Wächtern und ihm stand eine große Truhe an der Wand, vielleicht auch eine Art Schrank oder Anrichte. Cerryl schlich weiter über den polierten Steinboden, bis er den Schrank erreichte. Dort, in der Ecke neben dem Möbelstück, blieb er stehen. Er wusste, dass die meisten Menschen einen vollen Lichtschild nicht mit den Augen durchdringen konnten, aber er hatte Hemmungen, einfach an den Wächtern vorbeizugehen und sich nur auf sein Gefühl und die Sinne zu verlassen und zu hoffen, dass sie ihn tatsächlich nicht sahen.
Und selbst wenn sie ihn nicht sahen, konnten sie ihn hören und riechen, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Immerhin hatte er nachts mehr als einmal Anyas Sandelholz-Duft wahrgenommen. Er selbst roch im Augenblick natürlich erheblich unangenehmer. Andererseits schien ganz Hydolar zu stinken, also würde es wohl niemandem auffallen.
Die beiden Wächter standen schweigend vor der Tür, der Flur war leer.
Cerryl runzelte die Stirn. Er konnte die Wächter töten, aber das erschien ihm nicht richtig. Außerdem war es noch zu früh am Abend. Als Erstes müsst Ihr überleben. Kinowins Worte fielen ihm ein. Selbst wenn er die Wachen töten könnte, würde dies wohl nicht geräuschlos vor sich gehen.
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