Die Farben des Chaos
entstand.
Danach nahm Cerryl sich einen Augenblick Zeit, um den restlichen, noch lauwarmen Apfelwein aus dem Krug zu trinken und zwei Äpfel aus der Schale einzustecken, bevor er sich der Tür neben dem Kamin näherte. Er öffnete sie vorsichtig. Er nahm an, dass dahinter ein Schlafzimmer lag, und nickte, als seine Sinne die Vermutung bestätigten.
Die Schlafkammer hatte keine weiteren Türen, nur ein Fenster. Cerryl schlich hinüber und stieg auf die Sitzbank vor dem Fenster. Von dort aus konnte er ein Dach überblicken, das höchstens drei Ellen tiefer lag. Seufzend schob er das Fenster auf und stieg in die Dunkelheit hinaus. Er ließ die Füße baumeln und rutschte hinunter.
Die Stiefel glitten aus, als er aufprallte, aber er konnte sich an den noch warmen Dachziegeln festhalten und seine Rutschpartie auf dem schrägen Dach abfangen.
Und was jetzt?
Er lauschte, aber nirgends war etwas Außergewöhnliches zu hören. Keine Schreie, kein Kreischen, keine Lampen und Laternen.
Er kroch langsam über das Dach und entfernte sich nach und nach vom Fenster des Fürsten. Nach etwa vierzig Ellen endete das Dach. Er lugte über den Rand und sah einen viel zu tiefen Abgrund, dann schaute er wieder nach oben zum breiten Kamin.
Sogar im Dunkeln konnte er sehen, dass der Schornstein wie eine Treppe gebaut war. Die Stufen waren nicht besonders hoch. Er kroch auf den warmen, staubigen Dachziegeln hinauf, bis er den Kamin erreichte. Dort ließ er sich hinab und baumelte einen Augenblick im Nichts, ehe seine Stiefel die Ziegel darunter berührten. Dann erst ließ er los und stand glücklich eine Stufe tiefer. Nachdem er sich einen Augenblick ausgeruht hatte, wiederholte er den Ablauf bei der nächsten Treppenstufe des Kamins.
Der letzte Abschnitt war ein etwa fünf Ellen hoher Absatz über einem kleinen, unbeleuchteten Innenhof. Er kam mit einem dumpfen Knall auf, die Erschütterung ging durch die Stiefel bis in die Schenkel, die beinahe nachgaben. Er wackelte einen Augenblick hin und her, taumelte ein paar Schritte und sah sich um. Er war an der Rückseite des Palastes herausgekommen. Hinter der Mauer, an die er sich jetzt drückte, konnte er den Fluss spüren.
Am westlichen Ende des Hofes wandte er sich nach rechts und lief in tiefem Schatten, den der Schein der wenigen Lampen nicht durchdringen konnte, an der Mauer entlang. Der Hof wollte und wollte kein Ende nehmen.
Immer wieder gähnte er. Als er sich ängstlich und völlig erschöpft an die Mauer lehnte, drohten ihm sofort die Augen zuzufallen. Er atmete noch einmal tief durch und ging weiter nach Westen.
Er wusste nicht, wie lange er sich zwischen Gebäuden mit verschlossenen Türen durch immer neue Innenhöfe einen Weg suchen musste, aber nach einer Weile drang ihm ein neuer Geruch – ein Geruch nach Pferden und Heu – in die Nase.
Ställe?
Ställe hatten gewöhnlich einen Heuboden …
Er schlich weiter in Richtung des Stalls und stellte erfreut fest, dass die Tür einen Spalt offen stand.
Er zog einen Blendschirm auf – einen vollen Lichtschild hätte er nicht mehr zu Stande gebracht – und trat durch die Tür. Nachdem er sich umgesehen hatte, ging er vorsichtig am Stalljungen vorbei, der neben der Tür auf einem Heuballen schlief. Hinter zwei Reihen Boxen entdeckte er eine Leiter. Das Heu, das aus der Luke quoll, sagte ihm, dass er tatsächlich den Heuboden gefunden hatte. Langsam arbeitete er sich nach oben und lief über die unebenen Planken des Heubodens.
In einer staubigen Ecke, die ihm vorkam, als wäre seit Tagen niemand mehr hier gewesen, setzte er sich, rieb sich die Nase und unterdrückte ein Niesen. Langsam aß er einen und dann auch noch den zweiten Apfel. Das Knurren im Magen ließ etwas nach.
Er überlegte, ob er die Stiefel ausziehen sollte, aber er war zu müde, um sich gegen den Schlaf zu wehren. So legte er sich auf einem Haufen Stroh ganz am Ende des Heubodens hin.
LXIV
C erryl war mit einem Schlag hellwach. Er hatte Kopfschmerzen, die Nase war verstopft, er konnte fast nicht mehr atmen. Draußen war ein schwacher grauer Schimmer zu sehen, also hatte er wohl nicht sehr lange geschlafen; oder jedenfalls fühlte er sich so. Er schauderte in seiner Jacke.
Unter sich konnte er junge Stimmen hören.
»… so verdammt früh aufbrechen?«
»… hat nichts gesagt …«
Der junge Magier rieb sich die Augen und schlich zur Leiter. Sein Magen knurrte und im Bauch fühlte er eine Spannung, beinahe einen Krampf. Die Kopfschmerzen waren
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