Die Farben des Chaos
die Stadttore hinausritt.
»… kanntest du den Lanzenreiter?«, fragte einer im Torhaus.
»… konnte ihn nicht genau erkennen … wenn er allein ausreifen will … geht nur den Fürsten etwas an …«
»… trotzdem …«
»… welcher Lanzenkämpfer, Juit? Ich habe keinen gesehen. Hast du einen gesehen?«
Ein angespanntes Lächeln spielte um Cerryls Lippen, als er sich vom Kastanienbraunen die leicht abschüssige Zufahrt zur Straße hinuntertragen ließ, um die Straße nach Fairhaven zu erreichen. Er war aus Hydolar herausgekommen. Und jetzt liegen noch zwei lange Tagesmärsche vor dir … oder drei …
Er rieb sich die Stirn, aber die Kopfschmerzen wollten nicht weichen. Auch das Grollen im Bauch und in den Därmen ließ nicht nach. Vielleicht sollte er eine Kleinigkeit aus dem Proviantpäckchen essen? Er drehte sich um und zog einen harten Zwieback hervor. Vielleicht würde etwas Nahrung sogar das Zittern lindern.
LXV
C erryl gähnte. Das Zwielicht war der Dunkelheit des Abends gewichen. Jede Faser seines Körpers tat ihm weh, vom Schädel bis hinunter zu den Zehen, die sich in den Stiefeln zu verkrampfen schienen. Es war ein stiller Abend, kühl, aber noch nicht wirklich kalt, und in der Stille konnte er in den trockenen Feldern neben der Straße einige Insekten hören. Insekten? Im Winter? Wohl, eher Nagetiere.
Er hatte gehofft, bald die Große Weiße Hauptstraße zu erreichen, aber auf dem Straßenstück, dem er folgte, hatte er weder Meilensteine noch Dörfer gesehen, nur dunkle Erhebungen inmitten der Felder – anscheinend die Hütten von Bauern und Hirten. Er wünschte, er hätte vorher veranlassen können, dass eine Abteilung Lanzenreiter ihn erwartete, aber das hätte die Hydlener gewarnt und auch die Lanzenreiter hätten nicht unbedingt geschwiegen. Es war jedoch klar, dass Jeslek die Sache geheim halten wollte.
Cerryl klopfte dem gestohlenen Pferd auf die Schulter. Er musste schon wieder einen Ort finden, um sich seinen körperlichen Bedürfnissen zu widmen. Eine Stelle, die vor Einblicken von der offenen Straße geschützt war, war natürlich am besten, auch wenn er nicht eben viele Reisende gesehen hatte.
Er hoffte, dass seine Schilde trotz der Erschöpfung noch gut genug waren, um bei den wenigen Menschen, die ihn gesehen hatten, ein unscharfes Bild zu hinterlassen, das keine genauen Erinnerungen hergab, abgesehen davon, dass sie einen Lanzenreiter aus Hydlen gesehen hätten. Es nützte Jeslek und der Gilde ja nichts, wenn ein Fürst verschwand und die Leute einen Weißen Magier sahen, der aus Hydlen nach Hause ritt. Sobald er die große Weiße Hauptstraße erreicht hätte, würde es keine Rolle mehr spielen, aber bis dahin … bis dahin durfte er sich möglichst nicht blicken lassen.
Wieder verkrampfte sich sein Bauch und er schauderte.
Er sah sich um. War das da vorne nicht ein Gebüsch, an dem er das Pferd festbinden konnte? Das große Tier hatte schon zweimal versucht, ihn im Stich zu lassen. Er hatte die Zügel nur noch mit einem verzweifelten Sprung erwischen können. Das Pferd gehörte offenbar einem ganz bestimmten Reiter und dieser Reiter hieß nicht Cerryl.
Cerryl stieg ab und führte das Pferd zum Gebüsch. Sein Magen verkrampfte sich wieder, ein heißer Schmerz fuhr durch seinen ganzen Leib und die Finger tasteten unsicher nach den Lederzügeln. Er wollte nachfassen, blieb aber mit dem Stiefel an einer Wurzel hängen und landete bäuchlings auf dem Boden. Rings um ihn wallte Staub auf und der Zügel rutschte ihm aus den Fingern.
Als er wieder auf den Beinen stand, trottete das Pferd schon die Straße hinunter.
»Komm her, Junge …«, keuchte Cerryl. »Hierher, mein Junge.«
Das Pferd drehte sich aber nicht um, sondern lief weiter nach Süden.
Cerryl ging etwas schneller. Auch das Pferd wurde schneller.
Cerryl wollte laufen, aber der Kastanienbraune wurde noch schneller.
Nach einer Weile blieb Cerryl keuchend stehen, allein auf einer verlassenen Straße, und sah dem dunklen Schatten nach, der sich nach Süden in Richtung Hydolar bewegte.
Cerryl schüttelte den Kopf. Jetzt stand ihm ein langer, hungriger Fußmarsch nach Fairhaven bevor und er hatte nur noch eine Hand voll Münzen in der Tasche.
Nicht nur das, sein Bauch grollte noch immer und tat weh. Das Brot, das er gestohlen hatte? Die Anstrengung der letzten Tage, in denen er wenig geschlafen und noch weniger gegessen hatte? Oder die Äpfel aus der Obstschale des Fürsten? War das Obst vergiftet gewesen?
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