Die Farben des Chaos
spürte, wenn er beobachtet wurde. Cerryl musste sich allerdings fragen, ob es nicht eine bessere Möglichkeit gab, um herauszufinden, was mit den Straßenzöllen aus Certis passierte. Er schüttelte den Kopf. Er musste klären, wer die Goldstücke verwaltete, aber er konnte die Münzen selbst nicht finden. Münzen bestanden nicht in gleichem Maße wie lebendige Menschen aus Ordnung und Chaos, auch wenn sie oft genug Chaos erzeugten.
Er runzelte die Stirn. Münzen erzeugten Chaos. Konnte er nicht das Glas und seine Sinne benutzen, um die Verdichtungen oder Ansammlungen des Chaos zu finden, wie sie von den Menschen erzeugt wurden, die Geld besaßen?
Chaos … das Spähglas war leichter zu. benutzen, wenn Chaos im Spiel war. Oder eine starke Konzentration der Ordnung wie bei diesem rothaarigen Schmied in Diev. Irgendetwas an diesem Schmied beunruhigte Cerryl, aber er konnte nicht sagen, was es war. Seine Beobachtungen hatten gezeigt, dass Dorrin eine Schmiede und eine Scheune gebaut hatte. Offenbar hatte er die Absicht, sich länger in Spidlar aufzuhalten, aber das Haus und die Schmiede sahen nicht aus wie ein Vorposten für weitere Schwarze, die ihm womöglich noch folgen sollten. Hatte er das Haus für die Händlerin gebaut? Aber Cerryl musste die Frau erst noch finden. Wo steckte sie nur?
Cerryl massierte sich den Nacken. Diese Mutmaßungen über den Schmied machten ihn nicht satt. Er schloss die Tür und ging den Flur hinunter zur Treppe, über die er nach unten zum hinteren Innenhof gelangte. Der kalte Winterwind wehte bis ins Gebäude hinein. Er zog die Jacke eng um sich.
LXXI
D as Gebäude, das Cerryl im Spähglas sah, hatte drei Stockwerke. Es war aus Holz und Stein gebaut und hatte rautenförmige Scheiben in den hohen, schmalen Fenstern. Am Aufsitzbock vor dem Gebäude stand ein Zweispänner mit zwei grauen Pferden. Ein Mann, der einen dunkelgrauen, mit silbernem Brokat eingefassten Mantel trug, stieg aus der Kutsche und verschwand im Eingang.
Cerryl fuhr auf, als es an der Tür klopfte.
»Ser?« Der hohen Stimme nach war es ein junger Bote.
Mit einem Seufzen, einem Ton, den er in der letzten Zeit viel zu oft von sich gab, stand Cerryl auf, ließ das Bild in sich zusammenfallen und öffnete die Tür.
»Ser, der Erzmagier bittet Euch, sobald wie möglich zu ihm zu kommen.« Der rot gekleidete Bursche verneigte sich zweimal. Er wich Cerryls Blicken ängstlich aus.
»Ich komme gleich.«
»Danke, Ser.« Der Bote eilte den Flur hinunter.
Cerryl rückte Hemd, Oberhemd und Gürtel zurück, verließ sein Zimmer und eilte durch die Hallen der Magier. Er hörte das Murmeln der Anwärter und bürgerlichen Besucher in der Bibliothek, ging aber vorbei, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Die Flure und Höfe waren verlassen, nur ein einziger Magier namens Elsinot begegnete ihm. Sie grüßten einander mit knappem Nicken, als sie in der Eingangshalle aufeinander trafen. Dann stieg Cerryl die Treppe des Weißen Turms hinauf.
Vor Jesleks Tür stand ein Wächter, den Cerryl noch nicht kannte. »Ser?«
»Ich bin Magier Cerryl. Der Erzmagier wünscht mich zu sprechen.«
»Einen Augenblick, Ser.« Der Wächter klopfte an die Tür und meldete ihn an. »Der Magier Cerryl ist auf Euren Wunsch gekommen, Erzmagier.«
»Lasst ihn herein.«
»Ihr dürft eintreten.« Der Wächter hielt ihm die Tür auf.
Cerryl schloss die Tür hinter sich energisch, ohne sie zuknallen zu lassen. Jeslek saß am Tisch. Wortlos deutete er auf den Stuhl, der auf der anderen Seite des Tisches stand.
»Ihr habt mich rufen lassen?«, sagte Cerryl, indem er sich setzte.
»So ist es. Was habt Ihr in Zusammenhang mit den Straßengebühren herausgefunden? Habt Ihr überhaupt etwas entdeckt?«
Wie sollte Cerryl es erklären?
»Ja und nein, Ser.« Er schürzte die Lippen und überlegte stirnrunzelnd, ehe er begann. »Ich habe im Glas Hinweise gesehen, dass der Wegezoll aus Certis nicht dort ankommt, wo er ankommen sollte, aber ich kann es nicht schlüssig beweisen. Ich kann Euch nicht genau sagen, wie viele Münzen abgezweigt und der Gilde vorenthalten werden.«
»Fahrt fort.« Jesleks Stimme klang beinahe gelangweilt, als hätte er etwas Derartiges ohnehin erwartet.
»Der Mann, der allem Anschein nach der Finanzminister ist, lebt in einem Haus, das man eher einen Palast nennen müsste. Zwei der Leute, die für ihn arbeiten, wohnen ebenfalls in Häusern, die größer sind als die Häuser der reichsten Kommissionäre hier in Fairhaven
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