Die Farben des Chaos
Nachtisch war leer. Er hoffte, nicht alles allein heruntergeschlungen zu haben. Er konnte sich nicht erinnern.
»Die Glasur war gut.«
Er unterdrückte ein Gähnen und hoffte, Leyladin würde es nicht bemerken.
»Du bist müde, das kann ich sehen.«
»Mir geht es gut.«
»Du bist müde und du wirst mich nach Hause bringen. Dann wirst du zu deinem Zimmer gehen und noch etwas schlafen, ehe du morgen früh wieder zum Dienst musst.« Leyladin stand auf und legte vier Silberstücke auf den Tisch.
»Ich wollte …«
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann, wenn du glaubst, ich wollte vor dir weglaufen.«
»Das habe ich doch gar nicht gesagt.«
»Aber du hast dich so gefühlt, und ich will nicht, dass du dich so fühlst. Komm jetzt. Ich bin auch müde.«
Cerryl nickte. Auf einmal wurde ihm klar, dass sie immer noch wundervoll aussah, obwohl sie eine zweitägige Reise hinter sich hatte. Er hätte nach so einer Strapaze bei weitem nicht so frisch ausgesehen. Er bot ihr den Arm an, als sie durch den vorderen Speiseraum, der sich inzwischen mit Gästen gefüllt hatte, nach draußen gingen.
»Da ist die Heilerin … und ein Weißer Magier … könnte ein Verwandter sein …«
»… sehen aber gut zusammen aus …«
»Herrin Leyladin … den Weißen kenne ich nicht …«
Im Vorraum verneigte sich der große, blau gekleidete Mann. »Guten Abend, Herrin Leyladin … Ser.«
Leyladin wandte sich lächelnd an den Türsteher. »Dassaor, dies ist der Magier Cerryl. Mein Vater hält große Stücke auf ihn.«
»Niemand würde es wagen, das Urteil Eures Vaters in Frage zu stellen, meine Dame. Wir hoffen, Euch öfter hier begrüßen zu dürfen.« Dassaor verneigte sich.
Cerryl nickte knapp. »Vielen Dank, Dassaor.«
Als sie draußen waren und zum Platz der Magier gingen, drehte Cerryl sich zu der rotblonden Heilerin um. »Du hast mir noch gar nicht verraten, dass dein Vater so viel von mir hält.«
»So ist es aber. Er war erstaunt über dich und besonders darüber, wie gewählt du dich ausdrücken kannst.«
»Ich habe auch hart daran gearbeitet. Ich wollte nicht reden wie einer, der gerade aus dem Bergwerk kommt.«
»Du hast eine Menge erreicht. Kinowin spricht gut, aber man hört in seinen Worten immer noch eine gewisse Grobheit. Deine Worte klingen geschliffen. Du kannst dich darüber freuen. Nicht weil mein Vater gestaunt hat, sondern weil du etwas aus dir gemacht hast.«
Was habe ich denn schon aus mir gemacht? Ich bin ein junger Magier, der ständig aufpassen muss, dass er nicht das Opfer einer Intrige wird. Ein Mann, der für die Frau, die er liebt, nicht einmal das Essen bezahlen kann. »Ich glaube nicht, dass ich so viel aus mir gemacht habe.«
Sie lachte leise. »Du gehst aber hart mit dir ins Gericht.«
Der Platz war leer, als sie in die nach Norden führende Straße einbogen.
»Ich denke, das muss ich auch. Wessen Urteil kann ich schon trauen?«
»Das ist sicher klug. Ich würde niemandem außer Myral trauen, aber der ist alt und hinfällig.«
»Sorgst du dich um ihn?«
»Er ist in gewisser Weise wie ein Onkel … der Einzige, mit dem ich über das reden kann, was in einer Heilerin vorgeht.«
»Du verstehst etwas vom Handel und du verstehst deinen Vater und du liebst ihn, aber er kann dich nicht verstehen?«
»Er versucht es, aber … nein.«
Kurz vor dem Marktplatz bogen sie nach Westen ab. Cerryl sah in den Fenstern von Layels Haus die Lampen schimmern.
»Wirst du es mir erklären, wenn du wieder da bist? Weißt du überhaupt, wie lange es dauern wird?«
»Ja, ich werde es dir erklären. Und ich denke, es wird kaum länger als zwei Achttage dauern. Jedenfalls dann, wenn es nur der Bauchfluss ist.«
Er verstand, was sie damit meinte. Wenn sie den Jungen nicht heilen konnte, würde das Kind nach zwei weiteren Wochen Bauchfluss schließlich sterben.
Leyladin drehte sich an der Tür noch einmal um und nahm Cerryls Hände. Sie beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Es war ein schöner Abend.«
»Ja, es war schön.«
Er wartete, bis sie die schwere Tür hinter sich geschlossen hatte, ehe er sich umdrehte und sich auf den Rückweg zu den Hallen der Magier machte.
IX
C erryl stand hinten links im Ratssaal neben einer Säule. Er überblickte das Gedränge der weißen Tuniken und Gewänder, wobei Letztere die bevorzugte Kleidung der älteren Magier wie Esaak und Myral darstellten. Die Säulen, die ringsum im Ratssaal standen, waren aus weißem Granit erbaut. Sie
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