Die Farben des Chaos
möglich«, stimmte er zu.
Sie hob die Augenbrauen, als liege ihr eine Frage auf der Zunge.
»Möglicherweise ist Sterol zu der Ansicht gekommen, dass Berofar ein Problem darstellt. Ich denke, keiner der mächtigeren Magier – ob Sterol, Jeslek, Kinowin oder vielleicht auch Anya – würde auch nur einen Augenblick zögern, einen Herrscher zu beseitigen, der Fairhaven gefährlich werden könnte.«
»Macht dich das nicht nachdenklich?«
Cerryl zuckte mit den Achseln, trank einen Schluck Bier und füllte sein Glas nach, ehe er antwortete. »Einerseits ja, andererseits nein.«
»Das ist ebenso unverbindlich wie ungefährlich.« Ihre Stimme klang sarkastisch.
»So habe ich es nicht gemeint. Ich habe noch nie einen Ort wie Fairhaven gesehen. Die Straßen sind sauber, es gibt kaum Diebe. Du kannst unbesorgt das Wasser trinken. Du kannst fast alles kaufen, wenn du genug Geld hast. Die Leute scheinen glücklich zu sein, jedenfalls die meisten, und zumindest erheblich glücklicher als die Menschen an anderen Orten in Candar, die ich bisher gesehen habe.«
»Das liegt daran, dass wir diejenigen, die zu arm sind, hinauswerfen oder zum Straßenbau schicken – oder sogar töten, wenn sie Ärger machen.«
»Das stimmt. Aber spielt das eine Rolle? In Fenard leben die Kinder auf der Straße, und die meisten sterben jung, würde ich meinen. Dort muss man sich ständig wegen der Diebe und Räuber in Acht nehmen, es gibt den Bauchfluss und überall herrscht große Not. Der Präfekt lässt die Leute einfach sterben oder umbringen. Hier sind die Menschen wohlhabender, und ich selbst bin wahrscheinlich der Beweis dafür, dass auch ein Waisenkind seine Chance bekommt.«
»Siehst du denn nicht, Cerryl, dass du genau aus diesem Grund ein Magier geworden bist? Damit Sterol und Jeslek sagen können, dass sogar ein armer Bursche aufsteigen und ein Weißer Magier werden kann?«
»Was ist mit Heralt? Oder Kinowin? Und ich glaube, Kiella kommt auch nicht gerade aus einer reichen Familie.«
Leyladin senkte den Blick und starrte auf den Tisch. »Es ist genau das Gleiche.«
»Vielleicht.« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht hatte ich auch nur Glück. Soll ich es zurückweisen, wenn es mir winkt?«
»Nein. Du musst das Beste daraus machen.«
»Ich? Ein junger Magier, der am Tor Wache schiebt?«
»Myral meint, du würdest eines Tages Erzmagier werden.«
»Ich?«
»Er hat manchmal Visionen.«
Cerryl runzelte die Stirn. Erzmagier? Ein Junge, dessen Vater ein Abtrünniger war? Das ist höchst unwahrscheinlich. »Einmal … einmal hat er erwähnt, dass er die Zukunft gesehen hätte. Eine Zukunft, in der die Gilde untergegangen war. Candar war voller verrückter Chaos-Bändiger … ich habe mich gefragt, ob …«
»Traue ihm. Er sieht mehr als er sagt.«
»Kinowin auch«, erwiderte Cerryl trocken. Er hatte keine große Lust, weiter über Myrals Visionen nachzudenken. Nein, dazu hatte er ganz und gar keine Lust. »Wenngleich auf etwas andere Weise.«
»So ist es. Wusstest du eigentlich, dass Kinowin erheblich älter ist, als es den Anschein hat?«
»Myral hat es mir gesagt.« Cerryl schüttelte den Kopf. »Ich hätte es nicht gedacht.«
»Glaube es nur. Er ist wie Myral. Sehr vorsichtig und bedachtsam, wenn es darum geht, die Kräfte des Chaos einzusetzen. Du solltest in dieser Hinsicht ihrem Beispiel folgen.«
Cerryl nickte. Er verkniff sich den Hinweis, dass er seinen Umgang mit Ordnung und Chaos bereits an Myrals Vorbild ausgerichtet hatte – und an dem, was er sich aus den Farben der Weiße hatte zusammenreimen können. Er räusperte sich. Über dieses Thema wollte er mit der Heilerin vorläufig nicht weiter sprechen, solange er nicht die Gelegenheit gehabt hatte, gründlich nachzudenken. »Ich erinnere mich, wie ich bei meinem letzten Besuch hier sagte, es wäre alles so gut … Du und dein Vater, ihr habt einen Blick gewechselt. Für euch war es ein einfaches Mahl, nicht wahr?«
Leyladin senkte den Blick, dann sah sie ihn wieder an. »Ja. Ich hatte Angst, du könntest, wenn du ein volles Mahl mit mehreren Gängen siehst, einen solchen Schrecken bekommen, dass du mich nie wieder sehen wolltest.«
»Aber ich wollte dich wieder sehen«, protestierte er. »Ich bin doch hier.«
»Ich weiß nicht, Cerryl. Du … als wir bei Furenk waren … du warst beinahe überwältigt.«
»Ich wusste nicht, dass es hinten noch einen Speiseraum gibt. Ich hatte bis dahin nur ein einziges Mal im vorderen Raum gegessen.«
»Und du hast dir
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