Die Farben des Chaos
Cerryl ging außen um die Säulen herum, bis er nur noch ein Dutzend Schritte vom golddurchwirkten Marmor des Rednerpodests entfernt war.
»… stehen uns sehr schwere Zeiten bevor. Noch schwieriger, als ich es auf der letzten Sitzung vorhergesagt habe.«
Sterols Gesicht wirkte wie aus Granit gemeißelt, so hart war es, wenn er schwieg. »Die Steuereinnahmen der Gilde gehen zurück. Gleichzeitig waren wir aber gezwungen, noch mehr Lanzenkämpfer nach Certis zu schicken.« Er wandte sich an Jeslek.
»Die Weiße Hauptstraße ist jetzt besser geschützt denn je und bis zum Herbstanfang sollte der Schutz vollkommen sein.« Jeslek lächelte strahlend. »Dann werden wir Lanzenreiter schicken, damit der Präfekt seinen Verpflichtungen Fairhaven gegenüber nachkommt.«
»Die Lanzenreiter nach Gallos zu bringen wird noch einmal zweitausend Goldstücke kosten«, wandte Sterol erregt ein. »Zweitausend Goldstücke, um etwas durchzusetzen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte.«
Kinowin und Jeslek nickten.
»Auch die Tatsache, dass mitten in Gallos Berge gewachsen sind, hat den Präfekten nicht überzeugt«, fuhr Sterol fort. »Seine Schriftrollen sind höflich abgefasst, aber er schickt kein Gold.«
»Und weil er es nicht schickt, fragen sich auch die Kaufleute und Grundbesitzer in Certis, warum sie zur Unterhaltung des Handels und der Hauptstraßen etwas beitragen müssen.«
»Das Gleiche fragt sich, allerdings auf ausgesucht höfliche Weise, auch Fürst Estalin in Lydiar«, warf Jeslek schnell ein. »Obwohl er doch ein alter Freund des Erzmagiers ist. Die nämliche Frage hat sich zudem Fürst Berofar gestellt, ehemals ein guter Freund des Erzmagiers.«
Cerryl regte sich unruhig.
»Sag jetzt bloß nichts«, warnte ihn die schwarzhaarige Magierin.
Cerryl rückte. Er blieb im Schatten der dritten Säule auf der rechten Seite stehen und murmelte: »Das ist auf jeden Fall ein guter Rat, Lyasa.«
»Da Sterol gerade in der richtigen Laune ist, um auf der Stelle jeden einzuäschern, der ihm widerspricht, ist das ganz sicher ein guter Rat.«
Und da außerdem Anya sehr genau Jesleks Interessen im Auge behält … und natürlich ihre eigenen, wie auch immer sie geartet sein mögen. »Es sei denn, man stimmt dem mächtigen Erzmagier zu und unterstützt ihn.«
»Du bist zu jung. Sie würden dich nicht einmal beachten.«
»Es ist besser, wenn man beachtet wird.« Cerryl zuckte mit den Achseln und fügte leise hinzu: »Dann stellen die Leute Fragen, wenn man verschwindet.« Er ging zwischen den Säulen weiter zur linken Seite des Podests.
»Es ist trotzdem gefährlich.«
»Das Leben ist eine lebensgefährliche Angelegenheit. Der Tod erst recht.«
Kinowin hob eine Hand und ergriff das Wort. »Nicht alle sehen die Zeichen in der Nähe von Fairhaven selbst, die beunruhigenden Anzeichen, die bereits in unserer unmittelbaren Umgebung zu beobachten sind. Ihr wisst alle, dass ich nicht mehr so viel herumkomme wie früher, aber ich höre gern denen zu, die sich umsehen.« Er winkte Cerryl. »Ihr erinnert Euch vielleicht an Cerryl. Er hat bisher bei der Wache am Tor zuverlässig seinen Dienst versehen. Neulich hat er mir etwas mitgeteilt, das er Euch jetzt in seinen eigenen Worten berichten soll.« Kinowin nickte. »Aber fasst Euch kurz, Cerryl.«
Cerryl schluckte. »Vor einigen Achttagen ist mir aufgefallen, dass mehr Bauern als sonst Plaketten kaufen. Einer wollte beispielsweise eine Plakette für seinen alten Karren, der noch nie eine Plakette gesehen hatte. Das kam mir seltsam vor. Ich überprüfte das Register. Allein am nordöstlichen Wachhäuschen waren es seit dem Hochsommer mehr als zwanzig Bauern. Im letzten Jahr sind fünf gekommen, im Jahr davor sieben.« Er wandte sich an Kinowin.
»Danke, Cerryl.«
Als Cerryl das Podest verlassen hatte, sprach Kinowin weiter. »Cerryls Beobachtung hat mich nachdenklich gemacht und deshalb habe ich meinerseits in den Aufzeichnungen und Registern nachgeschaut. Bisher haben wir in einem ganzen Jahr noch nie mehr als vierzig Plaketten ausgegeben. In diesem Jahr waren es bis zum letzten Achttag bereits sechzig.«
»Die Bauern werden schlau …«
»Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Worauf ich hinaus will, Isork? Es ist ganz einfach. Die Bauern können fünf oder zehn Kupferstücke bezahlen und verdienen ihr Geld, indem sie ihre Waren in der Stadt verkaufen. Früher konnten sie sich das nicht leisten. Was ist der Grund? Der Grund ist, dass die Preise für Lebensmittel gestiegen
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