Die Farben des Chaos
den Schmuggel sowieso nicht völlig unterbinden? So dass wir ihn lieber in kleinem Ausmaß dulden und bei denen, die genug Geld haben, ein Auge zudrücken, solange sie es nicht übertreiben?«
»Ich glaube, so elegant hätte ich es im Leben nicht formulieren können, junger Cerryl. Aber genau dies ist das Problem, mit dem die Gilde schon immer zu kämpfen hatte.« Myral hustete noch einmal, nicht eben leise, aber er musste nicht so würgen wie zuvor.
»Also sollte ich lieber vorsichtig sein?« Cerryl blickte an Myral vorbei zu den Wolken, die sich nördlich der Stadt auftürmten.
»Immer wenn Ihr mit Menschen zu tun habt, die andere Menschen umbringen, weil sie geldgierig sind oder Macht gewinnen wollen – die sie natürlich ebenso schnell wieder verlieren werden –, immer dann würde ich an Eurer Stelle mit größter Vorsicht vorgehen.«
Der Hinweis auf die Macht, die schnell wieder verloren sein würde, war mehr, als Cerryl hatte hören wollen.
Myral hustete einmal, zweimal.
Als ihm bewusst wurde, wie bleich der ältere Magier war, fragte Cerryl: »Kann ich etwas für Euch tun? Soll ich einen Boten schicken und die Heilerin holen lassen?«
»Nein, sie war schon da. Sie kann heute nicht mehr viel ausrichten.«
»Dann solltet Ihr Euch hinlegen.« Der junge Magier stand auf. »Ich will Euch nicht länger ermüden.«
»Ihr ermüdet mich nicht. Es tut gut zu wissen, dass mein Rat und meine Worte immer noch gehört werden.« Myral atmete mit pfeifendem Geräusch ein. »Aber … nun ja, etwas Ruhe könnte ich schon gebrauchen.«
Cerryl näherte sich dem schwerfälligen älteren Mann und bot ihm einen Arm an.
Myral hielt sich daran fest und zog sich hoch. »Danke.« Er machte ein paar zögernde Schritte und ließ sich schließlich in der Ecke des Zimmers auf die Bettkante sinken. »Es gab Zeiten … da habe ich keinen stützenden Arm gebraucht.«
»Vielen Dank für Euren Rat.« Cerryl wünschte, er könnte noch etwas tun, aber er spürte, dass Myral jetzt allein sein wollte. Cerryl schloss hinter sich sachte die Tür und ging die Treppe hinunter. Auf dem ersten Absatz begegnete ihm einer der rot gekleideten Boten. Der Bursche war nach oben unterwegs und lächelte Cerryl unsicher an. Cerryl erwiderte das Lächeln.
Draußen nickte er Gostar zu. Der ältere Wächter nickte wortlos zurück. Cerryl fing noch ein paar Gesprächsfetzen der beiden Wächter auf, bis er den Fuß der Treppe erreicht hatte.
»… wenigstens erkennt er einen wieder … sieht in uns nicht nur Schwerter mit Beinen …«
»… sollten mehr von der Sorte haben, die nicht aus reichen Familien kommen …«
Cerryl dachte über die Worte nach, als er sich zum Ausgang begab. Faltar kam in gewisser Weise aus einer wohlhabenden Familie. Auch Leyladin war wohlhabend. Beide waren aber durchaus der Ansicht, dass auch andere Menschen und nicht nur die Magier einen Wert besaßen und vollwertige Menschen waren.
In seinem Zimmer angekommen, blickte ‚Cerryl noch einmal aus dem Fenster zu den dichter werdenden Wolken. Das Land brauchte den Regen, aber er hoffte, es würde nicht zu viele Gewitter geben. Gewitter richteten größere Schäden an als ein sanfter Regen, aber Kopfschmerzen würde er so oder so bekommen.
Er holte tief Luft und nahm den schmalen Band aus dem Bücherregal. Er hatte noch etwas Zeit zu lesen, ehe er zu Leyladin aufbrach. Zum Glück würde es noch eine ganze Jahreszeit dauern, bis er die Nachmittagsschicht bekäme. Inzwischen musste er sich dringend in das Buch Über den Stadtfrieden vertiefen. Beim ersten Lesen hatte er es nur überflogen und genau gewusst, dass er dabei einiges übersehen hatte. Er versuchte, sich auf die Worte zu konzentrieren.
… das Hüten des Friedens bedeutet, die Harmonie unter den Menschen zu erhalten … aber die Menschen können, so ähnlich sie einander manchmal scheinen, ganz unterschiedlich reagieren, wenn sie von einem Stadtwächter oder besonders von einem Magier der Stadtwache zur Rede gestellt werden …
Das entsprach der Wahrheit, wie er inzwischen selbst herausgefunden hatte. Er las weiter und nickte, wenn er Abschnitte überflog, die er verstanden hatte.
… darf niemand gegen Person und Besitz eines anderen vorgehen, es sei denn mit ausdrücklicher Erlaubnis des Rates und auch dann nur, wenn der Betreffende den Frieden gebrochen hat und flieht … darf kein Stadtwächter das Haus irgendeiner Familie betreten, es sei denn, er wird eingeladen oder während der Verfolgung eines
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