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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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auspacken.
    Die letzten beiden Kleider, die ich vom Papier befreie, verwirren mich. Sie sind genauso lang wie die übrigen Gewänder, jedoch locker geschnitten und an den Schultern gefältelt, als wären sie für eine andere, kräftigere Person.
    Und dann entdecke ich ein weiteres Kleid mit aufgetrennten Seitennähten, als sollten Änderungen vorgenommen werden, die aber nie fertiggestellt wurden. Das Mieder ist aufgeschnitten, und lose Fäden hängen an den offen liegenden Säumen. Und dann begreife ich, dass diese Kleider den dicken Leib einer schwangeren Frau umhüllt haben, die kurz vor der Niederkunft stand.
    Unruhig streiche ich über meinen eigenen Bauch, als das Kind sich bewegt. Dann beuge ich mich vor, um die letzten Dinge vom Boden der Truhe herauszunehmen. Ihre hübschen Schuhe aus Satin glänzen, und die Spangen sind gut gepflegt. Sie sind mir zu klein, und ich bin froh darüber. Ich würde nicht gerne die Schuhe einer toten Frau tragen.
    * * *
    »Oh ja«, sagt Mary mit geröteten Augen, als sie heraufkommt und mich findet. »Hab ich dir das nicht erzählt? Es war entsetzlich, ich trau mich nicht, dir die Einzelheiten zu erzählen. Würde dir bestimmt jetzt den Magen umdrehen. Reicht wohl, wenn ich sage, dass das Kindchen in ihr feststeckte, als es raussollte. Sie konnten es nicht entbinden. ›Zu viel Kraft und Gezerre, vielleicht‹, sagte der letzte Doktor, der kam. Auf jeden Fall zu viele Instrumente und andere neue Ideen, und am Ende war es eine üble Herumpfuscherei. Sie hörte nicht mehr auf zu bluten, und das Leben ist aus ihr rausgelaufen. Hab vorher noch nie so helles Blut gesehen, geschweige denn, so viel.«
    »Und das Kind?«, frage ich.
    »Hat festgesteckt, wie ich gesagt hab. Hat nie das Tageslicht gesehen.«
    Ich schaue durch die unterteilten Fensterscheiben hinaus in den Himmel. Die Blätter der Linde bewegen sich in der leichten Brise, die wir hier drin nicht spüren können.
    »Aber mach du dir keine Sorgen«, sagt sie und starrt unverhohlen auf meinen Bauch. »Wenn du so weit bist, renn ich sofort zum Doktor.« Natürlich weiß sie über meinen Zustand Bescheid, denke ich. Jeder weiß es.
    »Ich glaube nicht, dass ich einen Arzt brauchen werde«, sage ich und falte die Kleider wieder zusammen.
    »Na ja, bis dahin also keine schweren Eimer mehr tragen und auch nicht zu lang auf dem Markt rumstehen und ein Getue ums Gemüse machen.«
    Wir können so lange wie möglich so tun, als würde das Leben im Hause Blacklock weiterlaufen wie bisher, denke ich, jedenfalls in den nächsten paar Tagen. Und was dann?
    »Tätest gut daran, dir eine Hebamme zu suchen«, fügt sie nach einer Pause hinzu. Als sie wieder nach unten gegangen ist, probiere ich Mrs. Blacklocks gutes schwarzes Kleid an.
    Ich stelle fest, dass der Saum ein wenig über die Holzdielen schleift und meine abgetragenen Stiefel völlig verdeckt, aber ansonsten passt es. Also war sie nicht winzig, wie er gesagt hatte, sondern sogar ein gutes Stück größer als ich. Vielleicht hat er sie aber so gesehen und in seinem Herzen als klein in Erinnerung behalten. Dort hat sie gewohnt, winzig, aber hartnäckig, ein schmerzhafter Fleck in seiner Brust, der ihn quälte, wenn er versehentlich daran rührte.
    Ich ziehe das Kleid nicht aus, als ich in dieser Nacht zu Bett gehe. Ich ertrage es nicht. Stattdessen lege ich mich in dem Kleid hin und schlafe, und die Seide wallt bis auf den Boden hinunter, so üppig ist sie. Gott sei Dank schlafe ich traumlos.
    Wie ich mich vor dem Begräbnis morgen Nachmittag fürchte!
    * * *
    Seit dem Sturm habe ich mit kaum jemandem gesprochen. Mary Spurren sitzt am Küchentisch, umgeben von ungespülten Töpfen und Bergen von Wäsche, die sie zum Bügeln heruntergebracht hat. Ihre Augen sind vom Weinen rot und geschwollen.
    »Was soll ich jetzt tun?«, fragt sie mich zum vierten oder fünften Mal. Der große Kopf ist ihr zwischen die Schultern gesunken. Ich weiß wirklich nicht, warum sie niedergeschlagen ist. Bestimmt wird sie keine Schwierigkeiten haben, bald irgendwo eine Anstellung als Zofe oder Hausmädchen zu finden. Anders als ich mit meinem dicken Bauch.
    »Es wird dir gut gehen, alle Welt sucht Dienstboten«, sage ich. Ihr weißes Gesicht starrt mich an.
    »Aber ohne Empfehlung«, betont sie, »wird das nicht leicht. Vier Jahre, über die es nichts Schriftliches gibt.«
    »Mrs. Spicer aus dem Lebensmittelladen könnte etwas für dich schreiben«, schlage ich vor.
    »Vielleicht«, erwidert Mary

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