Die Farm am Eukalyptushain
Augen. Zweifel bedrängten sie. Rosa war noch ein kleines Mädchen. Was wäre, wenn ihr Oper und Ballett keinen Spaß machten? Und was sollte sie mit Connor anfangen? Sie hatte kaum jemals etwas mit Jungen seines Alters zu tun gehabt, und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn behandeln sollte. Den Traum von Belvedere hatte sie von Kindesbeinen an gehegt. Jetzt fragte sie sich, ob sich das Leben dort – noch dazu mit Poppys Enkelkindern – in der Realität vielleicht als Fehler erweisen könnte. Clemmie hatte ja Recht. Das Leben in der Großstadt war himmelweit entfernt vom Leben im Outback. Sie würde sich anpassen und tausend Kompromisse schließen müssen. Sie hatte sich eine gewaltige Aufgabe gestellt, und sie war ganz und gar nicht sicher, dass sie ihr gewachsen war.
Als Catriona die Augen öffnete, dämmerte der Morgen. Die Rosellas und Sittiche draußen in den Bäumen machten einen Lärm, der Tote aufgeweckt hätte. Sie schaute hinüber zu Clemmie und lächelte. Ihre Freundin saß mit einer Tasse Tee im Bett und zog ein angewidertes Gesicht.
»Endlich«, maulte sie. »Bei deinem Geschnarche und den verdammten Vögeln da draußen habe ich kaum ein Auge zugetan.« Sie warf einen Blick auf die zierliche goldene Armbanduhr. »Ist dir klar, dass es fünf Uhr morgens ist?«
»Ich schnarche nicht«, protestierte Catriona. Sie griff nach der Teekanne und goss sich auch eine Tasse ein. Sie trank einen Schluck, gab etwas Zucker dazu und ließ sich entspannt ins Kopfkissen zurücksinken. »Und du hast geschlafen, kaum dass dein Kopf auf dem Kissen lag – mindestens acht Stunden. Also mach keinen Wind.«
Clemmie wollte widersprechen, aber das Dröhnen eines heranjagenden Geländewagens ließ sie beide zusammenschrecken. »Was ist das jetzt wieder?«, fragte sie erbost. »Schläft denn hier keiner?«
Catriona runzelte die Stirn und zog einen seidenen Morgenmantel über ihren Pyjama. Der Geländewagen hatte mit kreischenden Bremsen angehalten, und sie hörte Stimmen. Eilig lief sie hinaus und durch den schmalen Flur zur Haustür.
Rosa purzelte aus dem Wagen und fiel Catriona um den Hals. »Geh nicht weg«, schluchzte sie. »Bitte lass mich nicht allein, Tante Cat!«
Catriona umarmte die Kleine und versuchte sie zu beruhigen. »Ich lass dich nicht allein«, sagte sie entschlossen. »Sschh! Sei ein braves Mädchen. Hör auf zu weinen.« Über Rosas zerzausten Haarschopf hinweg sah sie Pat Sullivan an.
Pat war bleich. Sie war die halbe Nacht auf gewesen und dann über Land nach Belvedere gefahren. »Auf der Fahrt nach Derwent Hills ging es ihr gut«, berichtete sie, als sie die Verandatreppe heraufkam. »Aber dann ist sie schreiend aufgewacht und war fest davon überzeugt, dass sie Connor nie wieder sehen würde.« Seufzend strich sie dem Kind über das Haar. »Die arme Kleine. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass sie nur ein paar Tage Ferien bei mir macht, aber sie wollte mir nicht glauben. Vermutlich ist sie einfach überzeugt, dass früher oder später jeder weggeht. Man kann es ihr nicht verdenken.«
Catriona nahm Rosa auf den Arm und setzte sich mit ihr in einen Verandasessel. »Ich lass dich nicht allein«, wiederholte sie. »Ich werde hier bei dir und Connor wohnen und für euch sorgen.«
Die dunkelbraunen Augen schwammen in Tränen, und das kleine Gesicht war voller Angst und Müdigkeit. »Versprichst du mir das?« Sie bekam einen Schluckauf.
»Ich verspreche es dir. Und jetzt trocknen wir dir die Tränen ab,und dann werden wir frühstücken. Du musst halb verhungert sein. Ich bin’s jedenfalls.«
»Wo ist Connor?«, wollte Rosa wissen. Ihre Angst erwachte von Neuem. »Ich will Connor sehen.«
»Ich bin hier«, sagte eine leise Stimme auf der Verandatreppe.
Rosa sprang von Catrionas Schoß und fiel ihm um den Hals. »Ich dachte, ich sehe dich nie wieder«, schluchzte sie. »Ich wollte nicht weggehen. Bitte schickt mich nicht noch mal weg.«
Der Hut fiel ihm vom Kopf, als er sie auf den Arm nahm. Sie klammerte sich an ihn. Er sah Catriona an, und in seinen Augen lag die Weisheit und die Fürsorglichkeit eines sehr viel älteren Jungen. »Bleibst du wirklich hier?«, fragte er sie leise.
Catriona nickte. »Ja.«
»Aber du musst doch singen.«
»Ich habe noch ein paar Verpflichtungen, aber von jetzt an steht ihr beide an erster Stelle.«
Der Junge musterte sie eine ganze Weile. Dann nickte er. »Danke«, sagte er grimmig. »Rosa braucht uns beide – aber ich glaube, dich braucht sie mehr.« Er
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