Die Farm am Eukalyptushain
nördlichen Ufer hinüber zu dem Wald aus blauen und grünen Glastürmen und hochmodernen Apartmentblocks, in denen sich die Umgebung spiegelte. Bei den meisten Sydney-Reisenden war diese Brücke als coathanger , als »Kleiderbügel«, bekannt. Ihre zwei Bahngleise und acht Fahrspuren bildeten die Hauptverkehrsader in die Stadt hinein.
Harriet seufzte. Sie wusste, dass dieser Blick am Abend noch zauberhafter war. Dann spiegelten sich funkelnde Lichter im Wasser und in den Springbrunnen, und die Pubs, Bars und Restaurants an den verkehrsreichen Fußgängerwegen brachten sprühendesLeben in diesen einst so heruntergekommenen Teil der Stadt. Bunte Lichtergirlanden schmückten die Raddampfer, die zu Dinner-Kreuzfahrten ablegten, und die Neonschriften auf den Bürohochhäusern leuchteten und flimmerten vor dem Nachthimmel.
Harriet wandte sich zu ihrer Mutter um. Jeanette hatte die Zigarette ausgedrückt und richtete ihr Make-up vor dem goldgerahmten Spiegel über dem Gaskamin. Sie sah nicht übel aus. Ihr dichtes dunkles Haar war kunstvoll gefärbt und gesträhnt, um das Grau zu überdecken, und die Frisur stand ihr gut. Sie war immer noch schlank und durchtrainiert von ihrer langjährigen Arbeit bei der Sydney Ballet Company und von dem strengen Fitness-Programm, das sie auch im Ruhestand weiter betrieb. Sie war klein, hatte jedoch eine energische Persönlichkeit – die Harriet vermutlich von ihr geerbt hatte. Vielleicht, dachte sie müde, streiten wir uns deshalb zu oft. Wir sind uns zu ähnlich.
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, und Jeanette schaute als Erste weg. »Ich weiß, warum du heute gekommen bist«, sagte sie und betrachtete ihr Spiegelbild. »Aber ich werde darüber nicht diskutieren.«
»Du musst langsam aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken. Du solltest der Realität ins Auge sehen«, sagte Harriet mit fester Stimme. »Rosa ist meine Freundin, und ob es dir gefällt oder nicht – du musst es einfach akzeptieren.«
Jeanette drehte sich zu ihr um. »Aber ich tu’s nicht«, sagte sie kühl und ungerührt.
Harriet war entnervt. Ihr Tonfall wurde wieder schärfer. »Es ist mir wichtig. Begreifst du das nicht?«
In Jeanettes Blick lag stumpfe Entschlossenheit. »Dir vielleicht. Mir nicht.« Sie nahm ihre Handtasche von Tisch und zog den fliederfarbenen Pashmina-Schal von der Rückenlehne der Ledercouch. »Ich komme zu spät zu meinem Wohltätigkeitskaffee. Du hättest deinen Besuch ankündigen sollen; dann hätte ich meine Pläne ändern können.«
Harriet griff nach ihrem Aktenkoffer. Jeanette hatte in ihrem ganzen Leben noch keinen gesellschaftlichen Termin abgesagt, wenn es nicht zu ihrem Vorteil war, und Harriet bezweifelte, dass sie es jetzt tun würde, um einen alten Streit zu erneuern. »Meine Reise nach Belvedere ist viel wichtiger als ein verdammter Kaffeeklatsch«, fauchte sie.
»Sei nicht so ordinär«, erwiderte Jeanette und ging zur Tür. »Ich habe dich nicht dazu erzogen, so zu reden. Zweifellos ist es der Einfluss dieser Schlampe Rosa.«
»Wie kannst du es wagen, so über sie zu sprechen?« Harriet folgte ihr in den Flur. »Du hast nur einmal mit ihr geredet, und du weißt überhaupt nichts über sie. Verflixt, ich hab’s satt, dass du sie dauernd schlecht machst.«
Stumm funkelten sie einander an, und dann schlug Jeanette die Tür zu und ging durch den verlassenen Korridor zum Aufzug.
»Lauf nicht einfach weg, Mum!« Harriet packte sie beim Arm und hielt sie fest. »Dieser Streit ist nicht damit erledigt, dass du ihn ignorierst. Was ist los mit dir? Warum hasst du sie so?«
Jeanette kochte vor Wut. Die Luft zwischen ihnen knisterte von Elektrizität. »Sie ist ein Flittchen«, zischte sie. »Geschieden, als sie noch keine einundzwanzig war, arbeitet in einer miesen Kanzlei in Paddington, verkehrt mit dem allerletzten Gesindel. Schmutz ist klebrig, Harriet. Du wirst feststellen, dass ihr Ruf bald auf dich abfärbt, wenn du weiterhin auf dieser lächerlichen Freundschaft beharrst.« Ihre schmale Brust hob und senkte sich erregt. »Was du säst, wirst du ernten, Harriet. Aber erwarte nicht, dass es mich kümmert, wenn deine Karriere den Bach hinuntergeht.«
Harriet wich zurück. Diese Seite ihrer Mutter hatte sie seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr erlebt. »Rosa ist kein Flittchen«, flüsterte sie. »Ich bin hergekommen, um dir zu sagen, dass ich für zwei Wochen nach Belvedere fahre, und alles, was ich dafür bekomme, ist Gehässigkeit.«
Jeanette betrat den Aufzug und
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