Die Farm am Eukalyptushain
erwiesen hatten?
Wie die Eigentümerin hatte auch das Haus schon bessere, jugendlichere Zeiten gesehen. Es war ein dreistöckiges Reihenhaus, eines von vielen in einer heruntergekommenen Straße, die steil bergauf führte. Die Zimmer waren billig möbliert, und die fünf Gäste mussten sich ein Badezimmer teilen und nahmen Frühstück und Abendessen gemeinsam in der wohnlichen Küche im Erdgeschoss ein.
Catriona beugte sich über das Fenstersims und schaute über die Dächer der Stadt hinaus. Es war ein klarer, kalter Winternachmittag, und in der Ferne sah sie den blauen Schimmer des Hafens. In diesem stillen Augenblick glaubte sie weit hinten am Horizont auch die Farben des Outback zu erkennen und den Duft von Eukalyptus und Kiefern und den trockenen Staub der Straße zu riechen. Sie vermisste die Freiheit der Landstraße, das Rumpeln des Wagens und den Hufschlag der großen Zugpferde, die sie weiter und weiter durch die Wildnis führten.
»Beeil dich, Kitty!« Velda lief geschäftig im Zimmer hin und her und sammelte ihre Jacken und Hüte ein. »Wir kommen zu spät; es ist ein weiter Weg.«
Catriona wandte sich vom Fenster ab und sah zu, wie ihre Mutter auf und ab ging. Velda war sehr schweigsam geworden, als habe sie Angst, sie könne nicht mehr aufhören zu sprechen, wenn sie einmal anfinge. Aber sie war immer in Bewegung, eilte hierhin und dorthin und fand niemals Ruhe – als sei sie auf der Flucht vor etwas und als wolle sie der Zeit entrinnen. Sie war viel zu mager. Ihr Gesicht zeigte kaum eine Regung, und ihre Augen waren stumpf. Trotz der gewohnten Anmut, mit der sie sich bewegte, bemerkte Catriona die Anspannung in ihrer zierlichen Gestalt.
»Wir haben noch reichlich Zeit, Mam«, sagte sie leise. »Unsere Schicht fängt erst um sechs Uhr an.«
»Ich möchte heute Abend aber früher da sein.« Velda setzte sich den Hut auf und schminkte ihren blassen Mund.
Catriona schob die Füße in ihre flachen Schuhe, zog ihren dünnen Mantel an und griff nach dem Hut. Er sah alt und verschlissen aus, obwohl sie Stoffblumen an das Hutband genäht hatte, aber er musste noch eine Weile genügen. Sie verdienten nicht genug Geld, um es für Luxusartikel auszugeben. Sie sah sich nach Schal und Handschuhen um.
»Ich habe etwas mit dem Eigentümer zu besprechen«, sagte Velda geheimnisvoll. »Und das geht am besten, bevor der Abendbetrieb einsetzt.«
Velda zog die Decken auf den schmalen Einzelbetten glatt und rückte die Kissen zurecht, bevor sie zur Kommode ging und die wenigen Kleinigkeiten ordnete, die da lagen. Immer dieses Aufräumen, Hantieren, Ordnen, Glätten. Velda war eine Getriebene.
»Was gibt’s denn so Wichtiges?«, fragte Catriona.
»Das sage ich dir später.« Velda nahm ihre billige Handtasche und ging zur Tür.
Catriona begriff, dass sie nichts weiter aus ihrer Mutter herausbekommen würde, und sehnte sich nach den alten Zeiten, als sie entspannt miteinander umgegangen waren. Aus der freundschaftlichen Liebe zwischen ihnen war ein beinahe förmliches Nebeneinanderleben geworden. Doch die Jahre seit dem Tod ihres Vaters hatten sie beide verändert, und Catriona wusste, dass dieser Zustand anhalten würde. Veldas Methode, mit einer Tragödie umzugehen, war der Rückzug, und Catriona war gezwungen gewesen, ihre eigenen Ängste und Alpträume beiseite zu schieben und sich um einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft zu bemühen. Ohne Hoffnung hätte sie gar nichts.
Sie warf einen Blick durch das Zimmer, das sie seit fast einem Jahr miteinander teilten, und vergewisserte sich, dass die Gasheizung abgestellt und das Fenster geschlossen war. Es war ein kleines Zimmer, durch eine dünne Wand vom Dachboden abgetrennt, und zwischen zwei Betten, einem wuchtigen Kleiderschrank, einer Kommode und einem Frisiertisch war nur wenig Platz. Dieser bedrückend enge Raum konnte niemals ein Zuhause werden, aber sie hatten ein Dach über dem Kopf, und nur darauf kam es an. Sie schlug die Tür zu und lief die Treppe hinunter, um Velda einzuholen.
Doris saß wie immer in ihrem Sessel am Fenster, und Catriona winkte ihr zu, als sie die steile Straße hinunter auf die Stadt zueilten. Sie hatte Doris gern, und schon oft hatte sie stundenlang bei ihr gesessen und sich Geschichten aus deren Jugend und die Abenteuer ihres seefahrenden Mannes angehört. Eine willkommene Abwechslung nach Veldas endlosem Schweigen.
Lärmend ratterten die Straßenbahnen über die breiten Hauptstraßen von Sydney. Männer und Frauen hasteten
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