Die Farm
war die Farbe aufgebraucht. Die Rückseite einschließlich der Veranda war fertig gestrichen, und der Unterschied war erstaunlich. Die leuchtend weißen Bretter standen in scharfem Kontrast zu den nicht gestrichenen an der Hausecke. Morgen würden wir die Westseite in Angriff nehmen, vorausgesetzt ich könnte irgendwie mehr Farbe auftreiben.
Ich dankte den Mexikanern. Sie gingen lachend zur Scheune zurück. Sie würden ihre Tortillas machen und essen, früh ins Bett gehen und hoffen, dass sie morgen Baumwolle pflücken könnten.
Ich saß im kühlen Gras, bewunderte ihr Werk und wollte nicht ins Haus gehen, weil die Erwachsenen niedergeschlagen waren. Sie würden sich zwingen, mich anzulächeln, und etwas Amüsantes sagen, aber im Grunde waren sie krank vor Sorge.
Ich wünschte, ich hätte einen Bruder - gleichgültig ob einen jüngeren oder älteren. Meine Eltern wollten mehr Kinder, aber es gab irgendein Problem. Ich brauchte einen Freund, ein anderes Kind, mit dem ich reden, spielen, mich verschwören könnte. Ich hatte es satt, das einzige Kind auf der Farm zu sein.
Und ich vermisste Tally. Ich strengte mich an, sie zu hassen, aber es gelang mir einfach nicht.
Pappy kam ums Haus und inspizierte den neuen Anstrich. Ich wusste nicht, ob er verärgert war oder nicht.
»Fahren wir zum Bach«, sagte er, und wir gingen wortlos zum Traktor. Er ließ den Motor an, und wir fuhren in den Furchen des Feldwegs. Wo früher häufig der Traktor und der Pick-up mit dem Baumwollanhänger gefahren waren, stand jetzt Wasser. Die Vorderreifen verspritzten Schlamm, die Hinterreifen gruben sich in die Erde und vertieften die Furchen. Wir tuckerten durch ein Feld, das sich rasch in einen Sumpf verwandelte.
Die Baumwolle sah erbärmlich aus. Die Samenkapseln hingen herunter, schwer vom Regen. Die Sträucher waren vom Wind gebeugt. Eine Woche sengender Sonnenschein würde den Boden und die Baumwolle trocknen, dann könnten wir die Ernte beenden. Aber für solches Wetter war das Jahr schon zu weit fortgeschritten.
Wir bogen nach Norden ab, auf einen noch schlammigeren Weg, auf dem Tally und ich ein paar Mal spazieren gegangen waren. Der Bach war genau vor uns.
Ich stand schräg hinter Pappy, hielt mich am Ständer für den Sonnenschutz und an dem Bügel über dem linken Hinterreifen fest und betrachtete Pappys Gesicht von der Seite. Er biss die Zähne zusammen, seine Augen waren Schlitze. Er war nicht jemand, der - abgesehen von einem gelegentlichen Wutanfall -
Gefühle zeigte. Ich hatte nie gesehen, dass er weinte oder den Tränen auch nur nahe war. Er machte sich Sorgen, weil er ein Farmer war, aber er jammerte nicht. Wenn der Regen unsere Ernte verdarb, dann gab es einen Grund dafür. Gott würde uns beschützen und in guten wie in schlechten Jahren für uns sorgen. Als Baptisten glaubten wir, dass Gott alles im Griff hatte.
Ich war sicher, dass die Cardinals aus gutem Grund nicht Meister geworden waren, aber ich verstand nicht, warum Gott dahinter stecken sollte. Warum sollte Gott zulassen, dass zwei Mannschaften aus New York in der World Series spielten? Das war mir ein völliges Rätsel.
Das Wasser vor uns stand plötzlich höher, die Vorderreifen versanken zwanzig Zentimeter darin. Der Weg war überflutet, und einen Augenblick war ich verwirrt. Wir waren nahe am Bach. Pappy hielt an. »Er ist über die Ufer getreten«, sagte er sachlich, aber seiner Stimme war die Niederlage anzuhören.
Das Wasser floss durch ein Dickicht, das sich einst hoch über dem Bachbett befunden hatte. Irgendwo dort unten hatte Tally in dem klaren kühlen Bach gebadet, der jetzt nicht mehr existierte.
»Wir werden überschwemmt«, sagte er. Er schaltete den Motor aus, und wir lauschten dem Geräusch des Wassers, das über die Ufer des Siler’s Creek und in unsere tiefen vierzig Morgen floss.
Es verlor sich zwischen den Baumwollreihen, als es sich in die leichte Talsenke ergoss. Irgendwo in der Mitte des Feldes, auf halber Strecke zu unserem Haus, dort, wo das Land leicht anzusteigen begann, würde es sich sammeln und an Höhe gewinnen, bevor es sich nach Osten und Westen ausbreitete und den Großteil unseres Landes überschwemmte.
Endlich wurde ich Augenzeuge einer Überschwemmung. Das Land war früher schon überschwemmt worden, aber ich war zu jung gewesen, um mich daran zu erinnern. Mein Leben lang hatte ich Geschichten über außer Kontrolle geratene Flüsse und überflutete Ernten gehört, und jetzt sah ich es mit eigenen Augen, als
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