Die Farm
geschähe es zum ersten Mal. Es war Schrecken erregend, denn niemand wusste, wann es enden würde, wenn es erst einmal angefangen hatte. Nichts konnte das Wasser eindämmen; es floss, wohin immer es wollte. Würde es bis zu unserem Haus fließen? Würde der St. Francis über die Ufer treten und alles wegschwemmen? Würde es vierzig Tage und vierzig Nächte regnen und uns ertränken wie die, die Noah ausgelacht hatten?
Wahrscheinlich nicht. In der Geschichte kam auch ein Regenbogen vor, der Gottes Versprechen darstellte, die Erde nie wieder zu überfluten.
Jetzt wurde jedenfalls unser Land überschwemmt. Der Anblick eines Regenbogens war ein nahezu heiliges Ereignis in unserem Leben, aber wir hatten seit Wochen keinen mehr gesehen. Ich verstand nicht, warum Gott zuließ, dass solche Dinge geschahen.
Pappy war an diesem Tag mindestens dreimal am Bach gewesen, hatte sich umgesehen, gewartet und wahrscheinlich gebetet.
»Wann hat es angefangen?«, fragte ich.
»Vermutlich vor einer Stunde. Weiß nicht genau.«
Ich wollte fragen, wann es wieder aufhören würde, aber ich kannte die Antwort bereits.
»Das ist aufgestautes Wasser«, sagte er. »Der St. Francis ist zu voll, es hat keinen Platz mehr.«
Wir sahen lange Zeit zu. Der Bach floss über, und das Wasser stieg höher und reichte auch an den Reifen bereits ein paar Zentimeter weiter hinauf. Nach einer Weile wollte ich unbedingt zurück. Im Gegensatz zu Pappy. Seine Sorgen und Ängste waren bestätigt, und er war wie hypnotisiert von dem, was er sah.
Ende März hatten er und mein Vater damit begonnen, die Felder zu beackern, die Überreste der letzten Ernte, Stängel, Blätter, Wurzeln unterzugraben. Damals waren sie glücklich, nach der langen Winterpause wieder im Freien zu sein. Sie beobachteten das Wetter und lasen im Bauernkalender, und sie verbrachten viel Zeit beim Co-op, um zu hören, was die anderen Farmer sagten. Wenn das Wetter mitspielte, säten sie Anfang Mai. Der fünfzehnte Mai war der späteste Termin, an dem die Baumwollsamen in der Erde sein mussten. Mein Beitrag setzte im Juni ein, wenn die Schulferien begannen und das erste Unkraut wuchs. Dann drückten sie mir eine Hacke in die Hand, zeigten in eine Richtung, und ich hackte stundenlang zwischen den Baumwollsträuchern, eine Arbeit, die nahezu so schwer und geisttötend war wie das Pflücken. Den ganzen Sommer über, während die Baumwolle und das Unkraut wuchsen, hackten wir. Wenn die Baumwolle bis zum vierten Juli blühte, würde es eine Rekordernte. Ende August waren wir bereit zum Pflücken. Anfang September suchten wir Leute aus dem Hochland und Mexikaner.
Und jetzt, Mitte Oktober, sahen wir zu, wie die Ernte davongeschwemmt wurde. All die Arbeit, der Schweiß und die schmerzenden Muskeln, all das Geld für Samen, Dünger und Benzin, all die Hoffnungen und Pläne, all das ging jetzt im Stauwasser des St. Francis River unter.
Wir warteten, aber das Wasser hörte nicht auf zu steigen. Die Vorderreifen des Traktors standen halb im Wasser, als Pappy endlich den Motor anließ. Es war kaum mehr hell genug, um noch etwas zu sehen. Der Weg war überschwemmt, und wenn das Wasser weiterhin so schnell stieg, hätten wir die tiefen vierzig Morgen bei Sonnenaufgang verloren.
Nie zuvor hatte ich während des Abendessens ein so bedrückendes Schweigen erlebt. Nicht einmal Gran fiel etwas Erfreuliches ein. Ich stocherte in meinen Wachsbohnen herum und versuchte, mich in meine Eltern hineinzuversetzen. Mein Vater sorgte sich vermutlich wegen des Erntedarlehens, Schulden, die sie jetzt nicht würden zurückzahlen können.
Meine Mutter dachte bestimmt darüber nach, wie sie der Baumwolle entkommen könnte. Sie war nicht annähernd so enttäuscht wie die anderen drei. Eine katastrophale Ernte, die auf ein derart vielversprechendes Frühjahr und einen ebensolchen Sommer folgte, gab ihr ein ganzes Arsenal von Argumenten in die Hand, die sie gegen meinen Vater ins Feld führen konnte.
Die Überschwemmung lenkte mich von schwerer wiegenden Dingen ab - Hank, Tally, Cowboy -, und aus diesem Grund dachte ich nicht ungern darüber nach. Aber ich sagte kein Wort.
* * *
Bald würde die Schule wieder beginnen, und meine Mutter beschloss, dass ich von nun an abends regelmäßig lesen und schreiben üben sollte. Ich sehnte mich nach dem Klassenzimmer, was ich natürlich nie zugeben würde, und deswegen nahm ich diese Aufgaben ohne zu murren auf mich.
Sie meinte, dass meine Schreibschrift eingerostet sei, und
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