Die Farm
worden wäre, und auch wenn ihn das zu frustrieren schien, war es Musik in unseren Ohren. Außerdem seien Gerüchte über einen Waffenstillstand in Umlauf, und es würde sogar davon geredet, dass sie an Weihnachten wieder zu Hause wären.
Der letzte Absatz war traurig und erschreckend. Einer seiner Freunde, ein Junge aus Texas, war von einer Landmine getötet worden. Sie waren gleich alt und hatten gemeinsam die Grundausbildung absolviert. Wenn Ricky nach Hause käme, wollte er nach Fort Worth fahren und die Mutter seines Freundes besuchen.
Mein Vater faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seinen Overall. Wir stiegen ein und fuhren los.
An Weihnachten wäre er zu Hause. Ich konnte mir kein schöneres Geschenk vorstellen.
Wir stellten den Pick-up unter der Sumpfeiche ab, und mein Vater ging um den Wagen, um die Farbeimer abzuladen. Er blieb stehen, zählte nach und sah mich dann an.
»Wieso haben wir sechs Eimer?«
»Ich habe zwei gekauft«, sagte ich. »Und die Steuer gezahlt.«
Er schien nicht recht zu wissen, wie er reagieren sollte. »Hast du mit deinem Geld fürs Pflücken bezahlt?«, fragte er mich schließlich.
»Ja, Sir.«
»Das hättest du nicht tun sollen.«
»Ich will helfen.«
Er kratzte sich am Kopf und dachte eine Weile darüber nach, dann sagte er: »Das ist vermutlich nur fair.«
Wir schleppten die Farbe auf die Veranda hinter dem Haus, dann beschloss er, nach Pappy und den Mexikanern zu sehen.
Wenn man pflücken konnte, würde er bei ihnen bleiben. Mir gab er die Erlaubnis, die Westseite des Hauses zu streichen. Ich wollte allein arbeiten. Es sollte aussehen, als wäre ich überwältigt und überfordert von der enormen Aufgabe, die ich vor mir hatte, damit ich den Mexikanern Leid täte, wenn sie zurückkehrten.
Sie kamen mittags, verschmutzt und müde und mit einer kleinen Ausbeute für ihre Mühe. »Die Baumwolle ist zu nass«, hörte ich Pappy zu Gran sagen. Wir aßen gebratene Okra und Brötchen, dann machte ich mich wieder an die Arbeit.
Ich sah immer mal wieder zur Scheune, aber ich musste eine Ewigkeit schuften, ohne dass Hilfe in Sicht gewesen wäre. Was taten sie? Mittag war vorbei, die Tortillas waren längst gegessen. Ihre Siesta mussten sie doch auch schon gehalten haben. Sie wussten, dass das Haus nur zur Hälfte gestrichen war. Warum kamen sie mir nicht zu Hilfe?
Im Westen verdüsterte sich der Himmel, aber ich bemerkte es erst, als Pappy und Gran auf die Veranda kamen. »Könnte regnen, Luke«, sagte Pappy. »Du hörst besser auf zu streichen.«
Ich säuberte den Pinsel und stellte die Farbe unter eine Bank auf der Veranda, als könnte das Gewitter ihr etwas anhaben.
Dann setzte ich mich zwischen Pappy und Gran auf die Bank.
Wieder einmal lauschten wir dem leisen Donnern im Südwesten und warteten auf den Regen.
W ir wiederholten unser neues Ritual am nächsten Tag nach einem späten Frühstück. Wir gingen über das regennasse Gras zwischen unserem Haus und der Scheune, stellten uns an den Rand des Baumwollfelds, und unser Blick fiel auf Wasser, nicht Regenwasser, das sich während der Nacht angesammelt hatte, sondern das schlammige Stauwasser aus dem Bach. Es stand zehn Zentimeter hoch und schien bereit, sich über die Felder hinaus auszubreiten und sich langsam auf die Scheune, den Geräteschuppen, die Hühnerställe und womöglich das Haus zuzubewegen.
Die Sträucher waren nach Osten geneigt, auf Dauer gebeugt von dem Wind, der unsere Farm in der Nacht zuvor belagert hatte. Die Samenkapseln hingen herunter, voll gesogen mit Wasser. »Wird unser Haus auch überschwemmt, Pappy?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und legte den Arm um meine Schultern. »Nein, Luke, bis zum Haus ist es noch nie gekommen. Ein- oder zweimal war es nahe dran, aber das Haus steht einen Meter höher als wir hier. Mach dir keine Sorgen um das Haus.«
»Einmal ist es bis in die Scheune vorgedrungen«, sagte mein Vater. »In dem Jahr nach Lukes Geburt, oder?«
»Sechsundvierzig«, sagte Gran. Sie vergaß nie ein Datum. »Aber das war im Mai«, fügte sie hinzu. »Zwei Wochen, nachdem wir gesät hatten.«
Der Morgen war kühl und windig, über den Himmel zogen hohe fedrige Wolken, und es sah nicht nach Regen aus. Ein perfekter Tag, um das Haus anzustreichen, vorausgesetzt ich fand Hilfe. Die Mexikaner waren in der Nähe, aber nicht nahe genug, um mit ihnen zu sprechen.
Sie würden uns bald verlassen, vielleicht schon innerhalb der nächsten Stunden. Wir würden sie zum
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