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Die Farm

Die Farm

Titel: Die Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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dem Abendessen weggefahren. Wohin denn?«
    »Zu den Latchers.«
    »Wer sind die Latchers?«
    »Arme Farmpächter gleich über dem Fluss.«
    »Warum sind sie dorthin gefahren?«
    »Das darf ich nicht sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es ein Geheimnis ist.«
    »Was für ein Geheimnis?«
    »Ein großes.«

    »Komm schon, Luke. Wir zwei haben doch schon Geheimnisse, oder?«
    »Glaub schon.«
    »Ich hab niemand erzählt, dass du mir am Bach zugeschaut hast, oder?«
    »Glaub nicht.«
    »Wenn ich’s getan hätte, wärst du in großen Schwierigkeiten, oder?«
    »Glaub schon.«
    »Siehst du. Ich kann ein Geheimnis für mich behalten, du kannst ein Geheimnis für dich behalten. Also, was ist bei den Latchers los?«
    »Versprichst du mir, dass du es niemand erzählst?«
    »Ich verspreche es.«
    Die ganze Stadt wusste, dass Libby schwanger war. Warum so tun, als wäre es ein Geheimnis? »Also, da ist dieses Mädchen, Libby Latcher, und sie kriegt ein Kind. Heute Abend.«

    »Wie alt ist sie?«
    »Fünfzehn.«
    »Oje.«
    »Und sie versuchen, es geheim zu halten. Sie wollten keinen Doktor rufen, weil dann alle davon erfahren würden.
    Deswegen sollte Gran kommen und bei der Geburt helfen.«
    »Warum wollen sie es geheim halten?«
    »Weil sie nicht verheiratet ist.«
    »Wirklich? Wer ist der Vater?«
    »Sagt sie nicht.«
    »Niemand weiß es?«
    »Niemand außer Libby.«
    »Kennst du sie?«
    »Ich hab sie schon gesehen, aber es gibt so viele Latchers. Ich kenn ihren Bruder Percy. Er sagt, dass er zwölf ist, aber ich bin nicht sicher. Schwer zu sagen, weil sie nicht in die Schule gehen.«

    »Weißt du, wie Mädchen schwanger werden?«
    »Glaub nicht.«
    »Dann werd ich dir’s auch nicht erzählen.«
    Das war mir nur recht. Ricky hatte einmal versucht, mit mir über Mädchen zu sprechen, aber es war ekelhaft gewesen.
    Ihre Beine schwangen schneller hin und her, während sie über diese wunderbare Klatschgeschichte nachdachte. »Der Fluss ist nicht weit«, sagte sie nach einer Weile.
    »Ungefähr eine Meile.«
    »Und wie weit ist es noch auf der anderen Seite?«
    »Nur ein Stück den Feldweg entlang.«
    »Hast du schon mal gesehen, wie ein Baby auf die Welt kommt, Luke?«

    »Nee. Nur bei Kühen und Hunden, aber noch nicht ein richtiges Baby.«
    »Ich auch nicht.«
    Sie sprang auf die Füße, griff nach meiner Hand und zog mich von der Veranda. Sie hatte erstaunlich viel Kraft. »Gehen wir, Luke. Gehen wir, mal schauen, was wir zu sehen kriegen.« Sie zerrte an mir, bevor ich mich wehren konnte.
    »Du bist verrückt, Tally«, protestierte ich in dem Versuch, sie aufzuhalten.
    »Nein, Luke«, flüsterte sie. »Es ist ein Abenteuer, so wie am Bach vor ein paar Tagen. Das hat dir doch gefallen, oder?«
    »Klar.«
    »Dann vertrau mir.«
    »Was ist, wenn wir erwischt werden?«
    »Wie sollen wir erwischt werden? Alle, die hier sind, schlafen fest. Dein Großvater war gerade auf und hat überhaupt nicht daran gedacht, nach dir zu sehen. Komm schon, sei kein Feigling.«
    Plötzlich wurde mir klar, dass ich mit Tally überallhin gegangen wäre.

    Wir schlichen hinter den Bäumen entlang, durch die Furchen, in denen unser Pick-up hätte stehen sollen, dann über die kurze Einfahrt und hielten uns so weit wie möglich von den Spruills entfernt. Wir hörten Schnarchen und das schwere Atmen erschöpfter Menschen, die endlich schlafen. Wir schafften es lautlos bis zur Straße. Tally war schnell und behände, und sie brach durch die Nacht. Wir wandten uns zum Fluss, und der Mond kam heraus und erhellte uns den Weg. Die einspurige Straße war kaum breit genug, dass sich zwei Wagen aneinander vorbeizwängen konnten, und die Baumwolle stand bis fast zum Rand. Ohne Mond mussten wir auf unsere Füße blicken, aber jetzt konnten wir nach vorne sehen. Wir waren beide barfuß. Es lag so viel Kies auf der Straße, dass wir kurze schnelle Schritte machten, aber unsere Fußsohlen waren hart wie das Leder meines Baseballhandschuhs.
    Ich hatte Angst, war aber entschlossen, es nicht zu zeigen. Sie schien keine Angst zu kennen - keine Angst, erwischt zu werden, keine Angst vor der Dunkelheit, keine Angst, zu einem Haus zu schleichen, in dem ein Baby geboren wurde.
    Manchmal wirkte Tally abwesend, nahezu schwermütig und düster, dann kam sie mir so alt vor wie meine Mutter. Dann wieder konnte sie wie ein kleines Mädchen sein, das Baseball spielte und lachte, das nichts dagegen hatte, wenn man sie beim Baden beobachtete, das nachts lange Spaziergänge machte

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