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Die Farm

Die Farm

Titel: Die Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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noch ihren Kopf, zwei Reihen vor und rechts von mir. Sie hatte sich natürlich einen Platz mit besserer Sicht gesucht. Ich schlich durch die Sträucher zu ihr.
    Das Schlagmal ist achtzehn Meter vom Wurfmal entfernt. Wir waren wesentlich näher am Fenster als achtzehn Meter.
    Zwischen uns und dem kleinen Hof vor dieser Seite des Hauses standen nur noch zwei Reihen Baumwolle.
    Ich duckte mich auf den Boden und schaute angestrengt, bis ich schließlich die schattenreichen schwitzenden Gesichter von meiner Mutter, meiner Großmutter und Mrs Latcher sah. Sie starrten auf Libby hinunter, die wir natürlich nicht sehen konnten.
    Zu diesem Zeitpunkt war ich mir auch nicht länger sicher, ob ich sie überhaupt sehen wollte, aber meine Freundin wollte es unbedingt.
    Die Frauen hantierten herum und drängten sie, zu pressen und zu atmen, zu pressen und zu atmen, und versicherten ihr die ganze Zeit, dass alles gut werden würde.
    Es klang allerdings nicht so. Das arme Mädchen heulte und ächzte, gelegentlich schrie sie - hohe durchdringende Schreie, die durch die Wände des Zimmers kaum gedämpft wurden.
    Ihre gepeinigte Stimme war in der stillen Nacht weit zu hören, und ich fragte mich, was ihre kleinen Brüder und Schwestern wohl dachten.
    Wenn Libby nicht stöhnte und weinte, sagte sie: »Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.« Und so ging es immer weiter, ein ums andere Mal, der gedankenlose Singsang eines leidenden Mädchens.
    »Ist schon in Ordnung, Liebes«, sagte ihre Mutter unzählige Male.
    »Können sie denn nichts tun?«, flüsterte ich.
    »Nein, überhaupt nichts. Das Baby kommt, wann es will.«
    Ich hätte Tally gern gefragt, woher genau sie so viel übers Kinderkriegen wusste, aber ich hielt den Mund. Es ging mich nichts an, und darauf würde sie mich wahrscheinlich auch hinweisen.
    Plötzlich war es ruhig und still in dem Zimmer. Die Chandler-Frauen traten zurück, dann beugte sich Mrs Latcher mit einem Glas Wasser vor. Libby war still.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Nichts.«
    Die Pause im Geschehen gab mir Zeit, an andere Dinge zu denken, vor allem daran, erwischt zu werden. Ich hatte genug gesehen. Das Abenteuer war zu Ende. Tally hatte es mit unserem Ausflug zum Bach gleichgesetzt, aber verglichen mit dieser kleinen Eskapade verblasste es. Wir waren seit Stunden fort. Was, wenn Pappy in Rickys Zimmer stolpern würde, um nach mir zu sehen? Was, wenn einer der Spruills aufwachte und nach Tally suchte? Was, wenn mein Vater sich langweilen und nach Hause fahren würde? Die Schläge, die ich bekäme, würden tagelang wehtun, wenn ich sie überhaupt überlebte.
    Ich war einer Panik nahe, als Libby laut zu stöhnen begann, während die Frauen sie anflehten, zu atmen und zu pressen.
    »Da ist es!«, sagte meine Mutter, und es folgte ein hektisches Durcheinander, während die Frauen ihre Patientin belagerten.
    »Press weiter!«, sagte Gran laut.
    Libby stöhnte noch lauter. Sie war erschöpft, aber wenigstens war ein Ende in Sicht.
    »Gib nicht auf, Liebes«, sagte ihre Mutter. »Gib nicht auf.«
    Tally und ich saßen völlig reglos da, hypnotisiert von diesem Drama. Sie nahm meine Hand und drückte sie fest. Ihre Zähne waren zusammengebissen, ihre Augen verwundert aufgerissen.
    »Es kommt!«, sagte meine Mutter, und einen kurzen Augenblick lang war es still. Dann hörten wir den Schrei des Neugeborenen, ein kurzer gurgelnder Protestschrei, und ein neuer Latcher war auf der Welt.
    »Es ist ein Junge«, sagte Gran und hob das winzige, mit Blut bedeckte Baby hoch.
    »Es ist ein Junge«, wiederholte Mrs Latcher.
    Libby antwortete nicht.

    Ich hatte mehr gesehen, als ich sehen wollte. »Gehen wir«, sagte ich und versuchte, Tally hochzuziehen, aber sie rührte sich nicht.
    Gran und meine Mutter kümmerten sich weiter um Libby, während Mrs Latcher das Baby wusch, das sich über etwas ärgerte und laut weinte. Ich dachte unwillkürlich, wie traurig es war, ein Latcher zu werden, in dieses kleine schmutzige Haus mit einem Haufen anderer Kinder hineingeboren zu werden.
    Nach ein paar Minuten tauchte Percy am Fenster auf. »Können wir das Baby sehen?«, fragte er und traute sich fast nicht, ins Zimmer zu blicken.
    »Gleich«, sagte Mrs Latcher.
    Sie scharten sich um das Fenster, die gesamte Latcher-Kollektion, einschließlich des Vaters, der jetzt ein Großvater war, und warteten auf das Neugeborene. Sie standen genau vor uns, wie es schien auf halber Strecke zwischen dem Schlag-und dem Wurfmal, und ich hielt die Luft

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