Die Fastnachtsnarren. Humoresken
stößt den Hund, welcher ihn liebkosend umstreicht, unwirsch von sich, ein Fall, der außerordentlich zu nennen ist, und greift nach der Photographie.
»Was würde ich wohl thun, wenn ich ihr einmal begegnete? Und wie würde sie sich wohl dabei verhalten? Ich würde sie nicht sehen, sie nicht kennen, sie gar nicht bemerken. Diese schönen Züge konnten so schmählich täuschen und das vergebe ich ihnen nie, nie, nie! Ich hasse sie, hasse sie wie ihre Katzen, diese gleißenden, sanften Thiere, deren Krallen und Zähne doch so spitz und scharf sind!«
Es klingelt am Entrée, welches er von innen verriegelt hat. Er horcht auf. Sollte es Christian sein? Als er öffnet, sieht er sich einem weiblichen Wesen gegenüber, welches ihn mit prüfenden Blicken betrachtet.
»Was wollen Sie?«
»Entschuldigen Sie, sind Sie Herr Hildebrandt?«
»Ja.«
»So erlauben Sie, daß ich eintrete. Ich habe eine wichtige Botschaft zu bringen.«
Er geht mit ihr in das Zimmer und blickt ihrer Mittheilung erwartungsvoll entgegen. Sie sieht sich in dem Raume um und bemerkt dabei das Bild. Bei dem Anblicke desselben zieht sie ihr Taschentuch hervor und bricht in Thränen aus.
»Was weinen Sie?«
»Warum ich weine?« antwortete sie schluchzend. »Ach ja, Sie können es ja nicht wissen, daß sie gestorben ist!«
»Wer ist gestorben?«
»Wer anders als meine liebe, meine gute Herrin. Sie müssen sie ja gekannt haben, denn dort sehe ich ihr Bild und sie hat Sie ja auch zum Universalerben eingesetzt!«
»Wer ist – Auguste – – Fräulein Hildebrandt in Wiesenberg ist gestorben?« ruft er, indem sich eine tiefe Blässe über sein Gesicht breitet. »Wann denn?«
»Vor vier Tagen. Sie hat keine besondere Krankheit gehabt, sondern sich langsam abgehärmt und ist dann eingeschlafen. Ich habe sie gepflegt bis zum letzten Augenblicke und will nun ihren letzten Befehl erfüllen.«
»Welchen?«
»Sie sagte mir kurz vor ihrem Tode: Laß mich begraben und dann gehst Du nach Wiesenburg zu meinem Cousin. Er ist mein einziger Erbe und soll dasselbe sofort antreten.«
Er hört kaum, was sie sagt. Es flimmert ihm vor den Augen; es schwirrt ihm um die Ohren; die Nachricht, daß seine Feindin gestorben sei, hat ihn mehr angegriffen, als es bei feindseligen Gefühlen zu geschehen pflegt. Er steht da und starrt auf das Bild, ohne zu bemerken, daß die Botin sich leise entfernt hat. Er gewahrt es erst, als er sich von seiner Bestürzung erholt hat und nun weiter fragen will.
»Sie ist fort. Sie hat keine Zeit und will vielleicht mit dem nächsten Zuge zurückkehren. Ich hätte sie anders empfangen und auch bewirthen sollen, aber Christian ist nicht da, und mich hat die Nachricht so angegriffen, daß ich gar nicht weiß, an was ich gedacht habe. Hier ist auch gar keine Zeit sich Gedanken zu machen, ich muß nach Wiesenberg und das auf der Stelle!«
Er kleidet sich um, schließt die Hunde ein, denen er erst die nöthige Fütterung vorlegt und steht schon im Begriff, das Haus zu verlassen, als ihn die Schlüssel, welche er abgezogen hat, in Verlegenheit bringen.
»Wo thu’ ich sie hin? Mitnehmen? Nein, das inkommodirt. Ich lege sie auf den Kassenschrank, der Hausschlüssel kommt auf das Fenster neben der Thür, welches ich nur anlege, und das Gitter bleibt unverschlossen, damit Christian herein kann, wenn er kommt!«
So geschieht es, und dann schreitet er der Straße zu, welche nach der Haltestelle führt. Die Botin ist dort nicht zu sehen, doch kümmert ihn das nicht. Er besteigt ein Coupé des bald anlangenden Zuges und steht nach einigen Stunden vor dem gothischen Häuschen seiner einstigen Geliebten. Er hat es zwar noch nicht gesehen, aber davon gehört; die Aehnlichkeit mit dem seinen kann ihn also nicht überraschen.
Das Gitterthor steht offen. Er schreitet über den Hof und klingelt am Entrée. Alles bleibt still. Da probirt er das nächste Fenster, mehr unwillkürlich als mit einer besondern Erwartung. Es läßt sich aufstoßen, und er fühlt mit der Hand den Schlüssel liegen. Die Thür wird geöffnet, auch die Zimmerthür, welche unverschlossen ist, und nun sieht er sich in dem Raume um, wo sie sich »langsam abgehärmt hat,« gewiß nur um seinetwillen.
Auf dem Sekretär liegen sämmtliche Schlüssel. Er nimmt sie und öffnet einen Raum nach dem andern. Es ist ihm, als befinde er sich in den geheiligten Hallen eines Tempels, sein Herz klopft ganz anders als bisher, so weich und nachgiebig, und als er dann in das Wohnzimmer zurückkehrt
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