Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
Vom Netzwerk:
tief, es war, als würde sie sich in Leslies Verstand graben, darin Wurzeln schlagen und immer tiefer in sie hineinwuchern.
    Grau winselte und leckte ihr die Hand. Mühsam fand Leslie die Kraft, ihn anzuschauen. Sie biss die Zähne zusammen und drängte die Taubheit zurück, die von ihr Besitz ergreifen wollte und ihr zuflüsterte, dass auf lange Sicht nichts von dem, was sie tat oder unterließ, eine Rolle spielte.
    »Guter Grau«, flüsterte sie. »Guter, lieber Grau.«
    Er stupste sie mit der Nase an. Sie war kalt und feucht. Leslie klammerte sich an ihn und hielt sich fest, während die Traurigkeit langsam aus ihr hinaussickerte wie ein Gift, das den Boden tränkte.
    In der Morgendämmerung kehrten sie zurück. Gin hatte ihr das Sofa in der Küche vorbereitet, Leslie ließ sich darauf sinken, seufzte einmal tief auf und schlief ein.
    Sie wachte erst auf, als Gin in ihrer Pause zurückkam. Da war es bereits Mittag. Schräg fielen bleiche, aber freundliche Sonnenstrahlen durchs Fenster. Leslie setzte sich auf – zu ihrem Erstaunen fühlte sie sich gut erholt, fast vergnügt. Die Nacht saß ihr nicht wie befürchtet in den Knochen. Sogar Hunger hatte sie.
    Mit knurrendem Magen deckte sie den Tisch, während Gin schweigend die Kartoffelsuppe vom Vortag aufsetzte. Grau war nirgendwo zu sehen.
    Irgendwann hielt Leslie das Schweigen nicht mehr aus. »Du bist doch nicht mehr böse?«, fragte sie und schlang Gin von hinten die Arme um die runden Hüften.
    Überrascht griff Gin nach ihren Händen und hielt sie fest. »Froh bin ich, dass du wieder da bist. Unbeschadet.«
    »Vollkommen unbeschadet«, versicherte ihr Leslie. Verlockend stieg ihr der Duft der Suppe in die Nase. »Ist das gleich fertig?«
    »Setz dich hin und hampel hier nicht so herum. Hast du gestern Abend die Hände gewaschen?«
    »Nö.«
    »Heute Morgen?«
    Leslie schüttelte den Kopf.
    »Dann mach das gefälligst jetzt. Unter euch Schotten mag es Sitte sein, den ganzen Tag in der Erde herumzuwühlen und sich mit dreckigen Pfoten an den Tisch zu setzen. Aber das hier ist ein englischer Tisch, auch wenn er in Schottland steht. Und ich bestehe auf ein wenig Manieren.«
    Leslie hob die Brauen. Ausgerechnet Gin, die heruntergefallene Teiglöffel nur kurz abschüttelte, bevor sie damit weiterrührte. Folgsam drehte sie den Hahn über dem großen Waschbecken auf, der zuerst nur ein paar Blasen spuckte, bevor er einen halbwegs anständigen Wasserstrahl produzierte.
    »Mit Seife«, mahnte Gin streng. »Und bürste dir wenigstens einmal kurz durch die Haare.«
    Beim Essen hatte sich ihre launige Knurrigkeit bereits wieder verloren. Sie fragte nicht, wie die Nacht verlaufen war, stattdessen löffelte sie stumm ihre Suppe. Fragend schaute Leslie sie an, bis Gin es bemerkte und den Kopf hob.
    »Du bist doch noch sauer«, stellte Leslie fest und zog eine Schnute. »Auf deine liebe kleine Leslie bist du noch immer wütend. Das ist nicht nett.«
    Blinzelnd schüttelte Gin den Kopf. »Das ist es nicht. Ich meine, ich … natürlich bin ich böse auf dich. Aber das ist es nicht.«
    Hinter Gin ruckte der Zeiger der Küchenuhr vor. Unwillkürlich schaute Leslie hin und erstarrte. Es war kurz nach halb zwölf. Gins Pause begann erst um zwölf. Sie war früher nach Hause gekommen. Seit Leslie sie kannte, war das erst dreimal vorgekommen.
    »Leslie …«
    Mit einem Ruck zogen sich Leslies Eingeweide zusammen. »Was?«
    Gin seufzte und griff nach ihren Händen. Leslie entzog sie ihr. »Sag, was los ist.«
    »Ich …«
    »Sag es schnell.« Vor Leslies Augen flimmerte es. Gin sah so traurig aus. Die Last von etwas Schrecklichem, das sie gleich erfahren würde, wogte ungebremst auf Leslie zu. Meine Mutter, dachte sie. O Pan, meine Mutter …
    »Mariah Logan.« Gin verzog mitfühlend das Gesicht, als erwarte sie einen Aufschrei.
    Leslie wurde von solcher Erleichterung überflutet, dass sie die nächsten Worte nicht mitbekam. Mariah Logan – das war schrecklich. Sie würde ihr fehlen. Aber sie war schon alt gewesen. Es war zu erwarten, dass alte Menschen starben, oder nicht? Sie griff nach ihrem Löffel.
    »… ihr Sohn bei mir im Laden«, hörte sie Gin wie aus weiter Ferne sagen. »Er hat ein paar Sachen eingekauft. Er war ganz durcheinander. Sagt, sie hätte wohl einen Schlaganfall gehabt. Heute Morgen saß sie im Bett, die Augen ganz leer, und hat nur noch wirres Zeug gestammelt.«
    Leslie ließ den Löffel fallen. Ihr wurde kalt.
    »Und gestern haben wir sie doch noch

Weitere Kostenlose Bücher